Das Thema Zukunft der Arbeit ist derzeit in aller Munde. Die Megatrends unserer Zeit wie Globalisierung, demografischer Wandel und, allen voran, die fortschreitende Digitalisierung haben erhebliche Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung des Arbeitsmarktes.

In ihrer im Jahr 2013 veröffentlichten und sehr einflussreichen Studie kommen die Professoren der University of Oxford Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne zu dem Ergebnis, dass knapp jeder zweite Arbeitsplatz durch Automatisierung in den USA gefährdet sei und proklamieren einen einschneidenden Wandel unserer Arbeitsgesellschaft (Frey & Osborne, 2013).

 

Weichen für aktive Gestaltung stellen

Auch wenn dieses Schreckensszenario in der Zwischenzeit durch zahlreiche weitere Studien relativiert wurde, steht eines fest: In den kommenden Jahren müssen entscheidende Weichen gestellt werden, um die Zukunft der Arbeit aktiv zu gestalten. Doch bereits seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben die verschiedenen Megatrends die Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt maßgeblich beeinflusst.

Aus unserer Sicht lohnt daher zunächst ein genauerer Blick in die Vergangenheit.

In unserer Studie „Wer gewinnt? Wer Verliert?“ haben wir gemeinsam mit einem ForscherInnenteam um Prof. Timm Bönke der Freien Universität Berlin die Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit den frühen Jahren der Bundesrepublik bis heute betrachtet (vgl. Bönke, Harnack, & Wetter, 2019).[1]

 

Reformen und strukturelle Veränderungen prägen Arbeitsmarkt

In den vergangenen Jahrzehnten hat insbesondere die voranschreitende Globalisierung zur weiteren Öffnung der deutschen Volkswirtschaft geführt und den sektoralen Strukturwandel, das heißt den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, beschleunigt. Gleichzeitig hat das durchschnittliche Wirtschaftswachstum seit den 1950er-Jahren bedeutend nachgelassen. Außerdem zeigt sich, dass im Zuge des technologischen Wandels das Arbeitsvolumen in Jobs mit einfachen Tätigkeiten abgenommen und in solchen mit komplexen Tätigkeiten zugenommen hat.

Diese Entwicklungen setzten den deutschen Arbeitsmarkt unter Druck – um einem allgemeinen Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, wurden daher schon seit den 1990er-Jahren Flexibilisierungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt durchgesetzt. Im Jahr 2005 erreicht die Arbeitslosigkeit mit mehr als fünf Millionen Betroffenen dennoch einen historischen Höchststand und Deutschland war bekannt als „der kranke Mann Europas“. Im Zuge der Hartz-Reformen wurden zu diesem Zeitpunkt schließlich noch mehr Möglichkeiten für gering entlohnte Beschäftigung geschaffen.

 

Das Resultat: Ein stark angewachsener Niedriglohnsektor, in dem mittlerweile rund ein Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland tätig ist (vgl. Grabka & Schröder, 2019). Trotz wirtschaftlicher Erholung und einer meist robusten Wirtschaftslage im Anschluss an die Krise 2008/2009, sind niedrige Löhne im europäischen Vergleich in Deutschland auch heute noch besonders weit verbreitet.

Diese Entwicklung hat maßgeblich zu einer Zunahme der Einkommensungleichheit in Deutschland beigetragen (vgl. IMK, 2019). Insgesamt unterlag der Arbeitsmarkt damit bereits in den vergangenen 60 Jahren einem starken Wandel, von dem verschiedene Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich betroffen waren.

 

Frauen haben profitiert, sind im Vergleich zu Männern aber immer noch benachteiligt

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat auf dem Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen, da vor allem sie von der Bildungsexpansion profitiert haben: Zwischen 1970 und 2013 ist der Anteil der Hochschulabsolventinnen in Westdeutschland von 2 Prozent auf 17 Prozent gestiegen, sodass Männer und Frauen heute ein ähnliches Bildungsniveau aufweisen. Auch die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen in Westdeutschland hat sich zwischen 1973 und 2013 von rund 6 auf 12 Millionen verdoppelt.

 

Allerdings arbeiten Frauen immer noch häufiger als Männer in Teilzeit was u. a. dazu führt, dass sie auch heute noch wesentlich häufiger als Männer für ihre Tätigkeiten formal überqualifiziert sind und ihre verfügbaren Einkommen weiterhin denen der Männer hinterherhinken.

So arbeiten über die Hälfte der Frauen mit Hochschulabschluss in Jobs, die nicht ihrem Qualifikationsniveau entsprechen, während dies nur auf etwa jeden dritten Mann zutrifft. Ein entscheidender Grund sind nach wie vor Kinder, die vor allem das Erwerbstätigkeitsvolumen und Einkommen von Frauen beeinflussen. Insbesondere alleinerziehende Frauen finden sich nur selten in der oberen Einkommenshälfte wieder.

 

Geringqualifizierte sind die Verlierer der letzten Jahrzehnte

Die Ergebnisse unserer Analysen zeigen zudem deutlich, dass Frauen mit mittlerem oder hohem Bildungsabschluss sowie Männer mit Hochschulabschluss von den Arbeitsmarktentwicklungen der letzten Jahrzehnte profitieren konnten, während geringqualifizierte Frauen und Männer, insbesondere in Ostdeutschland, im Hinblick auf Einkommen eindeutig die Verlierer sind.

Alleinstehende Männer mit einem Realschulabschluss oder geringerer Bildung mussten in den letzten Jahrzehnten sogar als einzige Gruppe im Durchschnitt einen Einkommensverlust einstecken. Im Haushalt konnten Frauen durch ihre zunehmende Erwerbstätigkeit die Einkommensverluste der Männer absichern, insbesondere im unteren Teil der Einkommensverteilung.

Insgesamt sind Geringqualifizierte seit den 1970er-Jahren zunehmend stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Mittel- und Hochqualifizierte. Dieser Trend wurde durch die Hartz-Reformen zwar etwas abgefedert, sodass Geringqualifizierte heute vermehrt in Arbeit sind als dies noch 2005 der Fall war, doch macht sich Arbeit für sie häufig nicht bezahlt. Der Anteil derer, die im Niedriglohnsektor arbeiten ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen (vgl. Eichhorst, Schmidt, Tobsch, Wozny, & Linckh, 2019).

 

So what?

Der Blick in die Vergangenheit macht deutlich, dass sich der Arbeitsmarkt in Deutschland bereits in den vergangenen Jahrzehnten umfassend gewandelt und auf unterschiedlichen Ebenen sowohl Gewinner als auch Verlierer produziert hat. Doch inwieweit hilft uns dieser Blick in die Vergangenheit, um die Zukunft zu gestalten?

Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass sich der Trend hin zu komplexeren Tätigkeiten weiter fortsetzen wird. Dies legt nahe, dass Aus- und Weiterbildung mehr denn je eine zentrale Stellschraube sein wird, um eine Teilhabe möglichst vieler am Arbeitsmarkt sowie an den erwirtschafteten Gewinnen zu ermöglichen.

Der derzeitige Umfang des Niedriglohnsektors in Deutschland führt hingegen zu Pfadabhängigkeiten durch die sich die Benachteiligung betroffener Gruppen mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft weiter fortsetzen wird.

 

Fachkräftemangel

Darüber hinaus wird Deutschland in Zukunft darauf angewiesen sein, das Erwerbspersonenpotenzial möglichst gut auszuschöpfen, um dem zunehmenden Bedarf nach Fachkräften zu begegnen. Die Tatsache, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt zwar aufgeholt, die Männer trotz gleichem Bildungsniveau aber noch lange nicht eingeholt haben, ist u.a. ein Spiegel systemimmanenter Benachteiligungen:

Die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind in Deutschland immer noch unzureichend und auch das derzeitige Steuer- und Transfersystem hat an vielen Stellen eine negative Wirkung auf die Arbeitsanreize für Frauen, insbesondere derer mit Kindern (z. B. durch das Ehegattensplitting und die relativ hohe Belastung unterer Einkommensgruppen).

 

An diesen Stellschrauben gilt es zu drehen – vor allem, wenn sich der demografische Wandel in naher Zukunft weiter verschärft.

Auch wenn alle über die Zukunft der Arbeit reden, weiß bisher niemand sicher – auch nicht Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne –, was uns wirklich erwartet. Ein Blick in die Vergangenheit gibt uns darüber zwar ebenso wenig Aufschluss, kann aber dabei helfen, bestehende Pfadabhängigkeiten und Ineffizienzen auf dem Arbeitsmarkt aufzudecken. In Vorbereitung auf die Zukunft der Arbeit kann uns dies helfen, schon heute Schwachstellen mit geeigneten politischen Maßnahmen zu adressieren und den Arbeitsmarkt resilienter für den anhaltenden Wandel zu machen.

 

Quellen:

[1] Die Analysen basieren auf harmonisierten Mikrodaten (Mikrozensus 1962-2013) und erlauben eine multidimensionale Betrachtung der Entwicklung in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkbeteiligung, Qualifikationsniveau, Beschäftigung und Einkommen.
Bönke, T., Harnack, A., & Wetter, M. (2019). Wer gewinnt? Wer verliert? Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit den frühen Jahren der Bundesrepublik bis heute. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Eichhorst, W., Marx, P., Schmidt, T., Tobsch, V., Wozny, F., & Linckh, C. (2019). Geringqualifizierte in Deutschland. Beschäftigung, Entlohnung und Erwerbsverläufe im Wandel. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Frey, C. B., & Osborne, M. A. (2013). The Future of Employment. How susceptible are Jobs to Computerisation? Oxford: Oxford University Press.
Grabka, M. M., & Schröder, C. (2019). Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist größer als bislang angenommen. DIW Wochenbericht, Nr. 14, S. 249–257.
IMK. (2019). Drei Fragen an Ulrike Stein. Ungleichheit beginnt am Arbeitsmarkt. Verfügbar unter https://www.boeckler.de/63667_110895.htm (Zugriff: 06.09.2019).
Wer gewinnt? Wer verliert?
Wer gewinnt? Wer verliert?
Wer gewinnt? Wer verliert? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer von der Bertelsmann Stiftung geförderten Langzeitstudie. Dafür hat ein Forscherteam um Prof. Dr. Timm Bönke von der Freien Universität Berlin, die Auswirkungen des Strukturwandels auf dem deutschen Arbeitsmarkt für verschiedene Bevölkerungsgruppen untersucht.
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