Wie kommen Unternehmen und ihr Personalmanagement auf die nächste Stufe der Digitalisierung? Mit ethischen Richtlinien – sie helfen, die Chancen neuer Technologien menschendienlich zu nutzen.

Science Fiction braucht Culture Fiction

In den 1960er-Jahren sah die Zukunft noch so aus: Captain Kirk steuert die Enterprise mit Lichtgeschwindigkeit durch das Weltall, lässt sich auf diverse Planeten beamen und parliert drahtlos via Communicator mit seiner Crew. Alles sehr visionär, zumindest aus technologischer Sicht.

Soziokulturell war Kirk, wie die Journalistin Maren Hoffmann in einem Beitrag für das Manager Magazin zum Thema New Leadership formulierte, jedoch ein Kind seiner Zeit: Er würde sich „wohl keine drei Monate im Amt halten, bevor er wegen sexueller Verstrickungen, anzüglicher Bemerkungen, Interessenkonflikten oder allzu eigenmächtigen Handelns seinen Posten verlöre.“

Die Zukunft, die uns in Raumschiff Enterprise vorgestellt wird, ist eben Science Fiction ohne Culture Fiction, also ohne ein vorausgedachtes kulturelles Setting. Doch beides gehört für eine runde Story zusammen. Echter Fortschritt ist nur als Ganzes zu haben.

Dies gilt auch für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und anderen modernen Technologien. Viele scheinen bei diesem Thema noch auf der Enterprise unterwegs zu sein: Sie reden über Algorithmen, Deep Learning und Predictive Analytics. Aber ihnen geht es nicht um die Frage, wie wir auf diese Technologien kulturell am besten reagieren und von welchen Werten wir uns dabei leiten lassen sollten. Sondern es geht eben meist schlicht um Technologie. Und einmal ist sie Heilbringer, einmal der digitale Teufel.

Der Mensch ist der Maßstab

Doch Technologie ist ambivalent. Via Twitter können wir konstruktive Diskurse führen oder Fake News verbreiten. Entscheidend ist die Frage: Wie nutzen wir technische Innovationen so, dass sie uns nicht schaden, sondern helfen und weiterbringen? Der Mensch ist der Maßstab.

In Sachen KI plädieren der Philosoph Julian Nida-Rümelin und die Kulturwissenschaftlerin Nathalie Weidenfeld in ihrem Buch „Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Piper-Verlag) deshalb für genau einen solchen, namlich digitalen Humanismus: „Dieser ist technik-, aber auch menschenfreundlich. Er setzt sich von den Apokalyptikern ab, weil er der menschlichen Vernunft vertraut, und er setzt sich von den Euphorikern ab, weil er die Grenzen digitaler Technik achtet.“

Die technokratische Versuchung droht

Dieses Plädoyer ist wichtig, gerade auch in Bezug auf den Einsatz von KI im Personalbereich. Denn die Menschenfreundlichkeit wird hier bedroht durch die technokratische Versuchung: Wer ihr nachgibt, sieht den Menschen als Rädchen einer großen Effizienzmaschine bzw. als berechenbaren Datenpunkt eines Big-Data-Universums im Dienst des ökonomischen Erfolgs.

Ethisch ist dies ein Unding. Zudem wird sich der erhoffte Erfolg nicht einstellen: Menschen sind keine Datensätze. Jeder Mensch will der Autor seines Lebens sein und gut informiert in aller Freiheit handeln können.

Keiner möchte das Gefühl haben, zur anonymen Manipulationsmasse rein algorithmengetriebener Prozesse zu gehören – ob es um Auswahlverfahren geht, um Entwicklungs- und Karriereentscheidungen oder um Kalküle rund um das Performance-Management.

Wer das nicht einsieht, weil er vielleicht von Silicon-Valley-Utopien berauscht ist, wird über kurz oder lang ohne engagierte Mitarbeiter auskommen müssen, die sich jeden Tag für die gemeinsamen Ziele ins Zeug legen.

Gefragt ist eine Kultur des Vertrauens

Doch wie können wir KI & Co. menschenfreundlich nutzen? Der Schlüssel liegt in einer Kultur des Vertrauens. Mitarbeiter sollten darauf vertrauen können, dass sie als Personen im Mittelpunkt stehen, dass ihre Interessen und Rechte gewahrt werden.

Dazu braucht es ethische Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI und anderen digitalen Technologien in der Personalarbeit. Um praktikable Richtlinien zu entwickeln, wurde der Ethikbeirat HR Tech gegründet; er umfasst Wissenschaftler, Experten aus den Bereichen Verhaltensökonomie, Personalmanagement, Wirtschaftsethik und Recht sowie Gewerkschaftsvertreter und Personen des öffentlichen Lebens.

Zuerst ging es darum, die Chancen und Risiken digitaler Lösungen zu identifizieren und zu bewerten, dann um den Entwurf entsprechender Richtlinien, der im Zuge einer Konsultationsphase überprüft wurde. Jetzt dreht sich alles um die Frage, wie Unternehmen zu einem ethisch fundierten Umgang mit digitalen Lösungen befähigt werden können.

Im Mittelpunkt stehen grundlegende Werte

Dieser Prozess wird fortgesetzt; die Richtlinien des Ethikbeirat HR-Tech folgen neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Bislang stehen 10 Richtlinien zur Diskussion (siehe Infokasten). Deren Autoren denken das Thema KI vom Menschen her: Im Mitteplunkt sind grundlegende Werte wie Sicherheit, Selbstbestimmung und Fairness; sie bilden einen kulturstiftenden Rahmen.

Wir sollten jedoch noch weitergehen und überlegen, was der Einsatz digitaler Technologien für das Personalmanagement insgesamt bedeutet: Wie sollte etwa unsere Führungsarbeit aussehen, wenn wir in einem agilen Kontext digitale Tools für die Bewertung unserer Mitarbeiter nutzen?

Viele Fragen ließen sich anschließen, die wir auf unserem Weg in Richtung Arbeitswelt der Zukunft beantworten müssen.

Schauen wir zuerst auf die Menschen

Nach „Raumschiff Enterprise“ mit James T. Kirk als Captain folgte „Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert“ mit Jean-Luc Picard als oberster Führungskraft. Der Unterschied: Picard hört auf seine Mitarbeiter, er bindet sie ein und fördert sie nach Kräften – Science Fiction meets Leadership Culture.

Also: Schauen wir immer zuerst auf die Menschen – dann können wir das Beste aus den digitalen Technologien machen und die „unendlichen Weiten“ der neuen Arbeitswelt erfolgreich erkunden.

Kurzfassung der Richtlinien des Ethikbeirats HR Tech

  • Transparenter Zielsetzungsprozess und Einbindung
    Vor der Einführung einer KI-Lösung muss die Zielsetzung für die Nutzung definiert werden. In diesem Prozess sollen alle relevanten Interessensgruppen identifiziert und eingebunden werden.
  • Fundierte Lösungen
    Wer KI-Lösungen anbietet oder nutzt, muss darauf achten, dass diese empirisch evaluiert sind und über eine theoretische Grundlage verfügen.
  • Menschen entscheiden
    Wer KI-Lösungen einsetzt, muss sicherstellen, dass bei wichtigen Personalentscheidungen die Letztentscheidungsbefugnis einer natürlichen Person obliegt.
  • HR treibt KI Lösungen – nicht umgekehrt
    Ein erfolgreicher Einsatz von KI Lösungen durch HR benötigt die Kombination technologischer, analytischer und personalwirtschaftlicher Kompetenzen.
  • Haftung und Verantwortung
    Organisationen, die KI-Lösungen nutzen, sind für die Ergebnisse ihrer Nutzung verantwortlich.
  • Zweckbindung und Datenminimierung
    Wer personenbezogene Daten für KI-Lösungen nutzt, muss im Vorfeld definieren, für welche Zwecke diese verwendet werden und sicherstellen, dass diese Daten nur zweckdienlich erhoben, gespeichert und genutzt werden.
  • Informationspflicht
    Vor bzw. beim Einsatz einer KI-Lösung müssen die davon betroffenen Menschen über ihren Einsatz, ihren Zweck, ihre Logik und die erhobenen und verwendeten Datenarten informiert werden.
  • Achten der Subjektqualität
    Für die Nutzung in KI-Lösungen dürfen ohne rechtzeitige Beteiligung und individuelle Einwilligung der Betroffenen keine Daten erhoben werden, die deren willentlicher Steuerung entzogen sind.
  • Vermeidung von Diskriminierung
    Wer KI-Lösungen entwickelt oder nutzt, muss sicherstellen, dass die zugrundeliegenden Daten über eine hohe Qualität verfügen und systembedingte Diskriminierungen ausgeschlossen werden.
  • Stetige Überprüfung
    Wer KI-Lösungen nach den vorliegenden Richtlinien einführt, soll transparent sicherstellen, dass die Richtlinien auch bei der betrieblichen Umsetzung und der Weiterentwicklung beachtet werden.

Download: Die ausführliche Fassung der Richtlinien können Sie hier herunterladen.

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