Geringe Relevanz der sozialen Nachhaltigkeit in Unternehmen
Unternehmerische Strategien zur Nachhaltigkeit sind ein zentrales Thema: Sei es, um eigenmotivierte Zielsetzungen zum Erhalt von Umweltressourcen zu erreichen oder um regulatorischen Anforderungen zu genügen. Zwar hat die EU die CSRD-Regularien für die Wirtschaft zeitlich gestreckt – die grundsätzliche Einführung wird jedoch weiterverfolgt. Soziale Nachhaltigkeit scheint – zumindest auf den ersten Blick – schwerer zu fassen als etwa die gut kommunizierbare Reduktion von Ressourcenverbräuchen oder die Verminderung der CO2-Bindung in der Lieferkette. Zwar lassen sich auch unternehmerische Fürsorge für faire Arbeitsbedingungen und die Wahrung von Menschenrechten in der Wertschöpfungskette außenwirksam darstellen – der Blick auf interne Aspekte in der sozialen Nachhaltigkeit wird demgegenüber eher vernachlässigt. Das ist schade, denn der fehlende Fokus blendet wichtige Fragestellungen der Nachhaltigkeit aus: Zum einen umfassen europäischen Rahmenvorgaben durchaus auch die unternehmensinterne soziale Nachhaltigkeit, etwa im Zusammenhang von Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten, Löhne, Vereinigungsfreiheit) oder Gleichstellung und Diversität (Geschlechtergleichstellung, Lohngleichheit, Vielfalt in Führungspositionen). Zum anderen gelangen durch diesen fehlenden Fokus auf zentrale Faktoren sozialer Nachhaltigkeit wichtige „Personalthemen“ aus dem Blick. Recherchiert man zu „Sozialer Nachhaltigkeit“ im Kontext der Unternehmens- und Personalentwicklung, tauchen Themen auf, die im zentralen Interesse der Unternehmen liegen (sollten) wie z.B.: Mitarbeiterorientierung (Wertschätzung, Respekt, Förderung der Gesundheit, Work-Life-Balance bzw. Flexibilisierte Arbeitszeitmodelle), Partizipation (Einbezug in Entscheidungsprozesse, aktive Mitbestimmung), Generationengerechtigkeit (Bedürfnisse und Interessen verschiedener Generationen im Unternehmen) und Ethik im Führungsverhalten (Fairness, Transparenz und Integrität) u.v.m. Eine gering ausgeprägte Wahrnehmung dieser Themen sowohl als zentrale Stellgrößen des Unternehmenserfolgs generell wie auch als wichtige Faktoren der sozialen Nachhaltigkeit ist bedauerlich. Sicher mangelt es den Unternehmen wie den beteiligten Personen dabei selten an der Fähigkeit, die Bedeutung dieser Themen nachzuvollziehen – offenbar aber mitunter schon daran, sie in der Nachhaltigkeitsstrategie zu verankern und mit Leben zu füllen.
Beispiele sozialer Nachhaltigkeit Gestern – Heute – Morgen
Die Überführung der Prinzipien „guter“ Personal- und Führungsarbeit in den Kontext der sozialen Nachhaltigkeit ist kein neues Thema. Auch wenn in öffentlichen Diskussionen derzeit wieder öfter der vermeintliche Luxusstatus der vorgenannten Themen und Aspekte angesprochen wird, finden sich auch in Vergangenheit, Gegenwart und sogar in der Zukunft Beispiele für die Wirksamkeit und Wichtigkeit zentraler Prinzipien sozialer Nachhaltigkeit. Natürlich werden diese nicht oft als Beiträge zur sozialen Nachhaltigkeit im Personalkontext ausgewiesen. Gleichwohl bieten sie uns enorme Lernmöglichkeiten zur Ausgestaltung sozialen Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen.
Gestern: Ernest Shackleton
Shackletons brillant gescheiterte Antarktisexpedition zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist ein Klassiker der Entdeckerliteratur, der auch unter Führungskräften gern gelesen wird. Für die letztliche Rettung der gesamten Mannschaft seiner Unternehmung sollte der Faktor “Glück” nicht unterschätzt werden. Zugleich lassen sich an diesem historischen Beispiel auch Personal-/Führungsprozesse nachzeichnen, die bis heute relevant sind: Situative Führung, Flexibilität in der Anpassung an wechselnde Situationen und Aktivierung aller Team-Kompetenzen nach den jeweiligen Erfordernissen, gepaart mit offener Kommunikation auch in Krisensituationen. Die nicht nur für diese Zeit bei Shackleton ungewöhnlich ausgeprägte Fähigkeit, positiv zu motivieren und den Sinn des gemeinsamen Tuns zu vermitteln (heute würden wir das u.U. „Purpose“ nennen) würden ihn heute sicher zum gefragten Berater zur sozialen Nachhaltigkeit im Führungskontext machen.

Heute: US Airways 1549
Das „Wunder vom Hudson“ ist in vielfältiger medialer Form im Gedächtnis der jüngsten Gegenwart: Ob als Kinofilm „Sully“, als Buch „Highest Duty“ oder als gemeinsame Erinnerung durch die enorme Nachrichtenpräsenz in der damaligen Medienlandschaft. Anders als zum Teil medial vermittelt, lassen sich die Erfolgsfaktoren des „Wunders“ jedoch auf sehr konkrete Strategien herunterbrechen, die heute im Kontext der sozialen Nachhaltigkeit im Personal- und Führungsumfeld stehen: Menschenzentrierte Entscheidungsfindung, geteilte Verantwortung, Ermutigung zur Einbindung aller Kompetenzen, situative Bewertung der relevanten Stellgrößen usw. Medial wurde Chefpilot Chesley Sullenberger, teilweise auch sein Copilot Jeff Skiles zu den Helden gekürt. Dennoch betonen beide bis heute immer wieder die gesamte Teamleistung in Kooperation mit den Flugbegleiter:innen als Voraussetzung der Bewältigung der Notsituation.

Morgen: „Make it so!“
Die Führungskompetenz des Hauptcharakters Captain Jean-Luc Picard (ikonisch in Szene gesetzt durch den britischen Theaterschauspieler Sir Patrick Stewart) in Star Trek – The Next Generation hat bis in die Ausbildung von Führungskräften Eingang gefunden. Zwar spielt diese Science-Fiction-Serie in der fernen Zukunft, allerdings konzipierte man in der Planungsphase zur Serie in den 1980er Jahren für die Leitung des Brückenteams des Raumschiffs „Enterprise“ einen Führungsansatz, den wir heute gut mit sozialer Nachhaltigkeit im Personalumfeld in Einklang bringen können: Lernbereitschaft des gesamten Teams, kooperative Entscheidungsfindung, Akzeptanz und aktiver Einbezug unterschiedlicher Perspektiven und Hintergründe, Reflexion im Team, konstruktive Kommunikationshaltung u.v.m.

Es liegt auf der Hand, dass „gute“ Personal-, Team- und Führungskompetenz kein männliches Privileg sind: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind geprägt von weiblichen und diversen Persönlichkeiten, die intuitiv oder strategisch Prinzipien der sozialen Nachhaltigkeit im Führungsumfeld ein- und umgesetzt haben oder dies tun bzw. tun werden. Skepsis und Ablehnung gegenüber den Potenzialen sozialer Nachhaltigkeit in der Führung erlebe ich im Coaching eher bei männlichen Führungskräften jenseits des 50. Lebensjahrs. Gerade daher sind die obigen Beispiele besonders bemerkenswert. Von Ada Lovelace über Amelia Erhart bis Katherine Johnson und – tatsächlich – Captain Kathryn Janeway als Leitungspersönlichkeit in der Führung des Raumschiffs der Nachfolgeserie Star Trek – Voyager lassen sich viele authentische und fiktive Rollenvorbilder für eine sozial nachhaltige Personalarbeit identifizieren.

Lessons (to be) learned: Soziale Nachhaltigkeit im Fokus
Soziale Nachhaltigkeit ist nicht einfach nur ein neues Label für bekannte Strategien guter Personalarbeit. Es ist eine Gestaltungsaufforderung, die die Ganzheitlichkeit ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit aufgreift. Es geht nicht darum, ein neues Thema für Coaches und Beratungsdienstleister zu etablieren. Vielmehr muss im Zusammenhang der wachsenden Bereitschaft von Unternehmen, sich mit ganzheitlicher Nachhaltigkeit zu befassen, der Fokus auch auf die Binnenprozesse in den Unternehmen gerichtet werden. Gute, sozial nachhaltige Personalarbeit im Unternehmen schafft den Rahmen, der zugleich Engagement, Mitgestaltungswillen, Innovationsgeist und Ideenreichtum für die Bereiche der ökonomischen und ökologischen Transformation der Unternehmen fördert. Sie wird damit zum grundlegenden Regelsystem für eine optimierte Zusammenarbeit in alters-, werte- und erfahrungsdiversen Teams der Gegenwart und Zukunft.
Abschließende Hinweise und Ausblick zur Etablierung im eigenen Unternehmen
Dieser Blogbeitrag wurde auf der Grundlage meines Vortrags bzw. Tagesseminars „Meilensteine exzellenter Führung – und was wir daraus für unsere tägliche Arbeit lernen können“ erstellt. Für den Aufbau einer besseren Kooperations- und Entscheidungskultur habe ich das „Decision Management Cockpit by Transferbär | Dipl.-Päd. Klaus Jansen“ konzipiert.
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