Das Fahrrad gilt als Inbegriff nachhaltiger Mobilität: keine Emissionen, wenig Platzverbrauch, gut für Körper und Umwelt. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich ein Widerspruch. Diese Beobachtung war Anlass für meine Bachelorarbeit, in der ich untersucht habe, warum sich zirkuläre Geschäftsmodelle (Circular Business Models – CBMs) in der Fahrradindustrie bisher kaum durchsetzen. Dafür habe ich mit Vertreter*innen der Branche gesprochen – von Herstellern über Komponentenanbieter bis zu Serviceunternehmen. Die zentrale Frage: Welche Treiber gibt es für zirkuläre Geschäftsmodelle – und welche Barrieren existieren?

Das Fahrrad: Nur auf der Straße nachhaltig

Das gute Image des Fahrrads hinsichtlich nachhaltiger Mobilität steht mit anderen Fakten in Widerspruch: Die Herstellung eines Fahrrads ist ressourcenintensiv. Aluminiumrahmen benötigen enorme Energiemengen, Carbon verbraucht große Mengen an Wasser, und pro Kilogramm Fahrradkette entstehen fast vier Kilogramm Abfall. Am Ende ihrer Nutzung landen viele Räder auf Deponien – obwohl zahlreiche Komponenten noch funktionsfähig oder wiederverwertbar wären. Der Wertverfall ist drastisch: Ein Fahrrad mit 3.000 Euro Verkaufswert endet mit einem Schrottwert von 2,50 Euro.

Der Grund? Die Branche arbeitet noch immer weitgehend linear – produzieren, verkaufen, entsorgen. Zirkuläre Geschäftsmodelle, die Produkte im Kreislauf halten, sind selten. Meine Bachelorarbeit widmet sich daher den Treibern und Barrieren für CBMs. Die Befunde bestätigen vieles aus anderen Branchen: Finanzielle Unsicherheiten, fehlende Standards, kurzfristiges Denken. Doch drei Aspekte stechen heraus – weil sie zeigen, wie eng verzahnt die Hindernisse sind.

Drei Beobachtungen

Geschäftsmodelle, die Zirkularität erzwingen

Unternehmen, die Fahrräder im Besitz behalten – etwa durch Abo- oder Leasingmodelle – entwickeln ein natürliches Interesse an Langlebigkeit und Reparierbarkeit. Je länger das Rad hält, desto wirtschaftlicher wird es. Hier entsteht Zirkularität aus Logik, nicht aus Idealismus. Doch diese Modelle brauchen Geduld und Kapital. „Traditionelle Shareholder sind aktuell nicht geeignet CBMs zum Erfolg zu führen“, sagte ein Interviewpartner. Quartalsdenken und CE schließen sich weitgehend aus.

Zusammenarbeit als Voraussetzung – und Hindernis zugleich

Fast alle Befragten betonten: Ohne Kooperation geht es nicht. Rücknahmesysteme, recyclingfähige Materialien und Wissensaustausch funktionieren nur über Partnerschaften. Doch Vertrauen, Transparenz und Know-how fehlen oft. Kooperation ist zugleich Treiber und Barriere – ein Paradebeispiel für die Interdependenzen, die sich durch die gesamte Branche ziehen. Wissen, Kapital, Strukturen: alles hängt voneinander ab. Viele Unternehmen wissen schlicht nicht, wo sie beginnen sollen. Circular Design, Materialkreisläufe und digitale Trackinglösungen sind Themen, die jenseits klassischer Kernkompetenzen liegen – und daher oft liegenbleiben.

Regulierung, die Vorreiter bremst

Ein konkretes Beispiel: In einigen EU-Ländern werden Fahrradreparaturen steuerlich begünstigt – allerdings nur für klassische Werkstätten. Unternehmen, die Reparatur fest in ihr Geschäftsmodell integriert haben, profitieren nicht. Auch der grenzüberschreitende Transport gebrauchter Komponenten ist problematisch, weil sie häufig als Abfall gelten. Die Folge: Initiativen, die eigentlich gefördert werden sollten, werden ungewollt ausgebremst.

Was bleibt

Die Untersuchung zeigt: Die größte Hürde liegt nicht in der Technik, sondern in den Strukturen – und in der Haltung. Es sind strukturelle Barrieren, keine isolierten Herausforderungen einzelner Unternehmen. Geschäftsmodelle, Politik und Marktlogiken greifen ineinander, verstärken oder blockieren sich gegenseitig. Einzelne Unternehmen können diese Widersprüche kaum allein auflösen. Es braucht politische Rahmen, die Pionier*innen nicht benachteiligen, branchenweite Standards und Wissensplattformen, die Lernen und Kooperation fördern. Gerade hier kann Politik ansetzen: durch gezielte Fördermechanismen, vereinfachte Regulierung und eine aktive Rolle als Vermittlerin zwischen Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft.

Vor allem aber braucht es Mut und Überzeugung. Alle erfolgreichen zirkulären Unternehmen eint eine Führung, die an die Idee glaubt – nicht, weil sie sich sofort rechnet, sondern weil sie Sinn ergibt. Zirkularität ist keine technische Frage allein, sondern eine Frage von Haltung, Zusammenarbeit und der Bereitschaft, etablierte Strukturen zu hinterfragen. Am Ende betrifft sie uns alle – als Konsumentinnen, Bürgerinnen und politische Gemeinschaft.

Die Fahrradindustrie zeigt: Nachhaltige Mobilität beginnt nicht auf der Straße, sondern in der Wertschöpfungskette. Wer heute in zirkuläre Geschäftsmodelle investiert, gestaltet die Mobilität von morgen.

Circular Economy im Studium

Das Studium der Umweltwissenschaften (B.Sc.) an der Leuphana Universität Lüneburg vermittelt eine breite Grundlage in Nachhaltigkeitswissenschaft und -praxis. Mein Interesse an der Circular Economy (CE) wurde insbesondere durch meine Tätigkeit am Centre for Sustainability Management geweckt. Umso wertvoller wäre es, dieses zukunftsweisende Thema noch stärker im Curriculum zu verankern. Eine systematische Integration der Circular Economy würde Studierenden nicht nur ermöglichen, frühzeitig praxisrelevantes Wissen aufzubauen, sondern sie auch dazu befähigen, innovative Lösungsansätze für die Herausforderungen von morgen zu entwickeln. Im Rahmen des Komplementärstudiums haben mir Praxisseminare mit Kooperationspartner*innen bereits gezeigt, wie bereichernd der direkte Bezug zur Anwendung ist – und verdeutlicht, warum die Circular Economy für die Ausbildung in den Umweltwissenschaften von zentraler Bedeutung ist. Neben neueren Lehrangeboten zur Circular Economy ist mit Cradle to Cradle, initiiert durch seinen Erfinder Prof. Michael Braungart, bereits seit vielen Jahren ein verwandtes Konzept fest an der Leuphana Universität verankert. Es prägt sowohl die Lehre als auch Forschungsinitiativen und studentisches Engagement.

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