Um meine These gleich vorwegzunehmen: Viele der Maßnahmen, die unter Arbeiten 4.0 oder New Work gleichsam blasenhaft umherschwirren, sind nicht nur wirkungslos, sondern in Teilen geradezu schädlich für Unternehmen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: technischer Fortschritt, Automatisierung und globale Vernetzung machen die Arbeitswelt komplexer und die Anforderungen an Arbeitgeber wie -nehmer wandeln sich. Natürlich muss diesen Veränderungen Rechnung getragen werden. Darum haben die Bewegungen für eine neue Arbeitswelt im Kern schon recht. Aber sie haben sich in ein Dilemma manövriert, das die ganzen Anstrengungen zunichte macht.

Ein folgenschwerer Denkfehler

Sie verstehen sich als eine Gegenbewegung zum Taylorismus: weg von starren Regeln und Prozessen, hin zu mehr Eigenverantwortung und vor allem einem mitarbeiterfreundlicheren Arbeitsumfeld. Aber dahinter steckt ein Denkfehler!

Die tayloristische Schule im Rücken, haben Unternehmen jahrzehntelang erfolgreich externe Referenzen in interne Referenzen überführt – das heißt, sie haben die von außen an ein Unternehmen herangetragenen Probleme in Regeln, Prozesse, Handbücher, Audits, Führungsstrukturen etc. übersetzt. Was als externe Referenz beispielsweise noch »wir liefern schneller als der Wettbewerb« lautete, wurde zur internen Referenz: »wir erzeugen mit diesen Parametern einen detaillierten Projektplan und halten uns penibel an die darin fixierten Meilensteinen«. Die daraus entstandene Verhaltensdisziplin hat zu Zeiten Taylors und auch noch viele Jahrzehnte danach zu höchster Effizienz geführt.

Mit zunehmender Komplexität und Marktdynamik ist das Modell Taylors aber gehörig ins Wanken geraten geraten. Durch die vielen Marktüberraschungen, die heute im Wochen- nicht selten Tages- oder gar Stundenrhytmus auf die Unternehmen einprasseln passen die Übersetzungen von externer zur interner Referenz immer seltener. Die Folge: Die Effizienz von Unternehmen sinkt – und sie fühlen sich gezwungen zu handeln.

Moderne Ansätze ersetzen die alten internen Referenzen

Der Trugschluss liegt nun hier: Anstatt wieder Kundenprobleme ins Unternehmen zu lassen und die Arbeit flexibler zu arbeiten, ersetzen die modernen Ansätze die alten internen Referenzen lediglich durch neue: Statt festen Arbeitszeiten gibt es Home Office, statt dem Patriarchen gibt es den empathischen Chef, statt sterilem Pausenraum gibt es einen Tischkicker, statt E-Mailketten gibt es Posts im social intranet. You name it. Das Problem ist nur: All diese Maßnahmen bringen keinen Wert für das Unternehmen und vor allem nicht für den Kunden, weil es an internen Vorgaben herumdoktert, aber nicht die eigentlichen Probleme löst. Reine Schönheitspflege.

Damit will ich nicht sagen, dass Arbeit 4.0 überflüssig ist und nichts bringt. Im Gegenteil – aber eben nur, wenn es richtig verstanden und umgesetzt wird. Wie Sie das herausfinden? Folgende drei Fragen einer kleinen Heuristik können Ihnen Aufschluss geben.

1. An wen richtet sich der Ansatz unmittelbar?

Wenn eine beabsichtige Maßnahme oder eine neue Methode unmittelbar auf das Verhalten von Personen oder die Unternehmenskultur abzielt, ist sie bestenfalls wirkungslos, höchst wahrscheinlich aber sogar destruktiv. Warum?

Mitarbeiter verhalten sich im gegebenen Unternehmenskontext immer intelligent und vernünftig. Oder anders: Sie handeln so, wie es das System von ihnen verlangt. Und wenn das Verhalten blöd ist, dann heißt das nur, dass der gewählte Kontext blöd ist. Wenn den Mitarbeitern von oben nun ein anderes Verhalten bei unverändertem Kontext auferlegt wird (»seid mal teamfähiger«, »wir müssen uns mehr vertrauen«), dann werden sie indirekt dazu aufgefordert, gegen das vorherrschende System zu handeln. Das ist, als ob Sie einen Opernbesucher dazu auffordern, mit Trillerpfeife und Fanschal die Solistin anzufeuern. Das erzeugt enorme Spannungen. Schließlich müssen die Mitarbeiter dann zwei verschiedenen Anforderungen genügen – dem von oben auferlegten Verhaltenskodex und den Erwartungen des Systems.

Das Gleiche gilt für die Unternehmenskultur

Die Kultur wird durch die herrschenden Verhältnisse erzeugt. Wenn das System mit Arbeitszeiterfassung und Pausenregelungen beispielsweise von der Prämisse ausgeht, dass Mitarbeiter überwacht werden müssen, wird es keine Vertrauenskultur geben, weil der Kontext die gewünschte Kultur nicht erlaubt. Kultur lässt sich eben nicht erzwingen.

Ein neues Verhalten zu fordern, erzeugt also nichts als Business-Theater, weil die angesprochenen Personen das geforderte Verhalten nun spielen müssen. Mit echter, wertschöpfender Arbeit am Kundenproblem hat das nichts zu tun.

Wenn Ihr Ansatz also das Verhalten von Personen in Angriff nimmt, dann nichts wie »in die Tonne« damit! Adressiert er aber unmittelbar Strukturelemente wie Prozessvorgaben, Hierarchien, Infrastrukturen, Teamzusammensetzungen – soll heißen: lässt er sich von heute auf morgen beschließen und umsetzen – dann können Sie weiterfragen.

Heuristik-Wirkungspotential-Maßnahmen

2. Löst der Ansatz Hindernisse auf?

Oder auch: Werden durch den Ansatz mehr Kundenprobleme gelöst? Oder besser oder schneller? Wenn nein, könnte die Maßnahme als Sozialhygiene wirksam sein, mehr aber auch nicht. Durch Tischkicker, Sabbaticals und Home Office sind die Mitarbeiter vielleicht guter Laune und verstehen sich besser, sie lösen deshalb aber nicht mehr Kundenprobleme.

Nun will ich Ihnen solche Maßnahmen gar nicht absprechen – Sie können sich natürlich ein besser gelauntes Team wünschen. Aber erliegen Sie nicht dem Glauben, dass Mitarbeiter dadurch kausal leistungsfähiger werden. Wenn die Arbeit im Unternehmen nicht sinnvoll verrichtet werden kann – weil die Strukturen im Unternehmen mehr Theater erzeugen als wertschöpfende Arbeit –, dann sind solche Maßnahmen vielleicht ein Ausgleich zum belastenden Theaterspiel und den schlechten Arbeitsverhältnissen. Arbeitsplätze aufzuhübschen, bringt aber nur dann etwas, wenn die Arbeit bereits sinnvoll verrichtet werden kann – wenn also kein Theater die Mitarbeiter von ihrer eigentlichen Arbeit abhält.

Sollte Ihre New-Work-Maßnahme tatsächlich Hürden beseitigen, die der Wertschöpfung im Weg stehen, dann gilt es noch, die dritte Frage zu beantworten:

3. Steht die Grundüberzeugung des Ansatzes im Widerspruch?

Um die Frage verständlich zu machen, hier ein Beispiel: Ein Unternehmen ist komplett tayloristisch aufgebaut, hat eine Menge vertikaler Hierarchien, die Zuständigkeiten sind klar definiert, der Chef von oben gibt Anweisungen nach unten. Dieses Unternehmen veranstaltet nun einmal im Quartal einen »Open Space« zum Strategieabgleich. Sehr modern

Da tun die Mitarbeiter einen Tag lang so, als hätten sie Verantwortung, tauschen sich zu Problemen aus und so weiter. Am Ende der Veranstaltung heißt es dann: „Das haben Sie prima gemacht! Wir nehmen Ihre Ansätze mit in die Runde der großen und wichtigen Player. Mal sehen, was daraus wird.“ Und dann verpuffen die Ideen im Nirvana und haben wenig Chance auf Anschluss in der Organisation. Warum? Weil am nächsten Tag alle wieder im alten tayloristischen Kontext stecken und das Unternehmen außer der einen Veranstaltung nichts mit selbstverantwortlichem Denken am Hut hat.

Da können sich die Mitarbeiter doch nur – entschuldigen Sie den Ausdruck – verarscht fühlen. Sie spielen einen Tag lang mal ein bisschen Verantwortung und werden dann wie ein kleines Kind auf den Kopf getätschelt. Welch eine kopflose Verschwendung von Arbeitszeit!

Nehmen Sie sich Ihre Ansätze vor

Der Unterschied zwischen wirkungsvollen und wirkungslosen oder gar gefährlichen Maßnahmen, heißen sie nun »New Work« oder »Arbeiten 4.0« liegt also darin: Wie viel Theater wird bei der Umsetzung gespielt, wie viel Schönheitskorrektur wird betrieben, anstatt wertschöpfend zu arbeiten?

Nehmen Sie Ihre Ansätze ruhig einmal genauer unter die Lupe. Beziehen Sie sich auf externe Referenzen? Sehr gut! Machen sie den Weg frei zu wertschöpfender Arbeit? Noch besser! Wenn sie dann auch noch zu den Grundüberzeugungen im Unternehmen passen: großartig!

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