Wer entscheidet, ob du Urlaub nimmst oder nicht? – Dein Chef oder Du? Wer entscheidet ob du einen neuen PC brauchst? – Dein Chef oder Du? Wer entscheidet, ob wir die Bestellung eines Kunden annehmen? – Dein Chef oder Du?

Die Frage, wie wir in Organisationen Entscheidungen treffen, ist für einige Wissenschaftler (u.a. Luhmann) das konstituierende Merkmal einer Organisation. Die Art und Weise, wie wir Entscheidungen treffen, verändert sich durch die Digitalisierung. Doch was verändert sich genau? Wo liegt aus Perspektive der Organisationsentwicklung der Fortschritt, den wir durch die Digitalisierung erzielen?

Wenn wir von Digitalisierung sprechen, meinen wir meistens alles. Alles, was in einer gewissen Art und Weise mit der Umwandlung analoger Informationen in einen binären Zahlencode in Verbindung steht. Für verschiedene Anwendungsgebiete gibt es verschiedene Begriffe (Industrie 4.0., Big Data, usw. ).

In Folge der Digitalisierung bekommen wir eine Entscheidungsgrundlage sowie Transparenz über die eigenen Prozesse, die eigene Organisation und vor dem Phänomen der Globalisierung auch über entfernte Märkte. Wenn in diesen Handlungsfeldern Entscheidungen getroffen werden, kann dies einerseits auf der Grundlage von Vermutungen, allgemein bekannt als „Bauchgefühl“, geschehen. Andererseits werden aufgrund zur Verfügung stehender Daten Entscheidungen getroffen, die validierbar sind. Der Psychologe Daniel Kahneman erklärt in seinem Buch (Daniel Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012), dass der Mensch Kausalitäten sieht, die unsere Vorstellungen bestätigen. Diese kognitiven Abkürzungen, die uns Erkenntnisse versprechen, können wir heute mittels Daten überprüfen.

Von der Kausalität zur Korrelation

Gerade weil wir eine Kausalität vermuten, können wir diese mithilfe von Korrelationen validieren – von der Kausalität zur Korrelation – soweit nichts Neues. Durch die Digitalisierung können wir jetzt den Rückweg beschreiten. Anhand bestimmter auftretender Korrelationen treffen wir Entscheidungen, der zugrundeliegende Zusammenhang wird ignoriert. Exemplarisch dafür: Wenn Amazon eine Kaufempfehlung für einen Wecker vorschlägt, weil man vorher eine Leselampe gekauft hat, dann nur, weil Amazon weiß, dass Leselampe und Wecker in der Kombination häufig gekauft werden. Amazon vermutet aufgrund der Korrelation der Käufe von Lampe und Wecker einen Sinnzusammenhang.

Die Kausalbeziehung (Vermutung: Wecker und Leselampe werden häufig zusammengekauft, weil beides auf dem Beistelltisch am Bett steht) ist für Amazon irrelevant. Durch das Beispiel sieht man, dass wir Entscheidungen treffen können, ohne den konkreten Ursache-Wirkung Zusammenhang zu verstehen. Wir ersetzen Erfahrung und Bauchgefühl durch Daten. In diesem Beispiel vielleicht nicht so schlimm, vor dem Kontext anderer Einsatzgebiete (Predictive Policing) könnten die Auswirkungen dramatisch sein.

Was heißt das jetzt für unsere Organisationen?

Erstens, durch die binäre Alphabetisierung unserer Prozesse verändert sich unsere Entscheidungsqualität auf allen Ebenen. Ein Vertreter eines Forschungsinstituts beschrieb das in den geführten Interviews wie folgt: „Weil, die Entscheidungsqualität hängt ja sehr stark von der Informationsqualität ab. (…) Vor allen Dingen im Controlling (…) kommuniziert man auf Sachbearbeiter Ebene Informationen an die Management Ebene, die in keinster Weise konsolidiert sind. (…) Also ich muss jetzt telefonieren, brauche jetzt Bauchwerte, jetzt muss mir hier und da noch jemand was dazu geben, damit ich mir ein schlüssiges Bild kreieren kann, und das verkaufe ich dann quasi, wenn ich jetzt vertikal in der Hierarchie nach oben gehe, als gesicherte Werte. Und wenn man jetzt Digitalisierung, Industrie 4.0, entgegensetzt, hat man jetzt viel weniger den Fall, dass man sich bei Entscheidungen auf Bauchwerte oder Bauchgefühl stützen muss, sondern dass man ganz quantifizierbare Daten erhält.“).

Zweitens, das wirtschaftliche und politische Umfeld ist komplex geworden. Wir wissen, dass die Digitalisierung und in Verbindung damit, die Globalisierung zu abnehmenden Hierarchien führt. (Power Inside The Firm and The Market: A General Equilibrium Approach, Marin & Verdier, 2008). Das immer noch ein Einzelner den richtigen Weg kennt, erscheint fragwürdig. Oder wie es eine führende Mitarbeiterin im Bereich Corporate Strategy eines großen deutschen Konzerns erklärte:

“Eine Hierarchie hat Brocken von Aufgaben in kleinere Brocken an Aufgaben runtergebrochen und verteilt, also Delegation und das verbunden mit welche Information, welche Kommunikation ist notwendig, um diese Aufgabe verrichten zu können. In einer Welt, wo wir nun gar nicht genau wissen was zu tun ist, und dass das auch nicht der Mensch an der Spitze kann, (…) fällt als erstes dieses, Aufgaben im Voraus schon zu kennen und herunterbrechen zu können, dass fällt weg, …)“.  Die Zeiten, in denen sich Führung über einen Informationsvorsprung definiert, scheinen zukünftig hinfällig zu werden.

Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen

Durch die Bereitstellung von Daten, die der Entscheidungsfindung dienen, fördert die Digitalisierung die Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen. Das erfordert Organi-sationsstrukturen, die sich diesem veränderten Paradigma anpassen und sich organisch entwickeln. Ein Teilnehmer (Geschäftsführer eines Dienstleisters im Brandschutz) der Interviews verstand seine Organisation als Bühne.

TN: “Flüchtlinge, war genau sechs Monate ein Thema. Es ging im Oktober los, oder im September letzten Jahres (2015), und war im Februar (2016) wieder vorbei. In dieser Zeit wurden sehr viele Flüchtlingsheime gebaut. Wenn sie dieses Thema prozessual, (…), dann haben sie es ja nie fertig. Dann können Sie keinen Kunden bedienen. Oder es ist zu spontan und demzufolge ist es zu unstrukturiert. Sie bringen das Thema auf die Bühne und schaffen dann quasi durch organisationale Unterstützung Strukturen, die dabei helfen, die Mitarbeiter, die wollen und können, für dieses Thema sichtbar zu machen.”).

Vielleicht ein Ansatz flexibel und schnell zu reagieren, oder was meint ihr?

Und wer trifft jetzt die Entscheidung, ob du die Bühne nutzt?

Dein Chef oder Du?

Proklamation Zukunft der Arbeit
Proklamation Zukunft der Arbeit
Eine zivilgesellschaftliche Stimme zur Zukunft der Arbeit. Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Mit dieser Frage hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) intensiv beschäftigt. Im April dieses Jahres wurde dort das "Grünbuch Arbeiten 4.0" präsentiert. Unter der Schirmherrschaft der Bertelsmann Stiftung entsteht als ergänzende Stimme zu diesem Werk die zivilgesellschaftlich orientierte Proklamation "Zukunft der Arbeit". Mehr unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2015/november/proklamation-zukunft-der-arbeit/
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