Die Studie „Weltklassepatente in Zukunftstechnologien“ der Projekte „Global Economic Dynamics“ und „Innovationskraft stärken. Potenziale erschließen.“ analysiert bedeutsame Patente in 58 Zukunftstechnologien. Sie bestätigt eine ungute Vermutung: Im Bereich Digitalisierung hinken Europa und Deutschland hinterher und sind im Vergleich zu anderen Technologiebereichen schwächer aufgestellt.
Weltklassepatente in Zukunftstechnologien
Patente werden immer wichtiger, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen oder große gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel zu bewältigen. Aber unter ihnen gibt es große Unterschiede: vom faltbaren Display für ein Smartphone bis hin zum Spazierstock, den man in eine Sitzhilfe umfunktionieren kann – die Bandbreite reicht von technisch-komplex bis skurril-pragmatisch. Um die für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt wirklich wichtigen Patente in den Blick zu nehmen, lohnt sich daher ein genauerer Blick auf Weltklassepatente in Zukunftstechnologien:
Wer verfügt über die bedeutsamsten Patente in den Feldern, die in Zukunft viel Wachstum schaffen und große Probleme lösen können?
Genau dieser Frage geht unsere neue Studie nach.
Bestimmung von Weltklassepatenten
Die Studie bezieht lediglich die besten 10 Prozent der Patente in 58 ausgewählten Zukunftstechnologien in ihre Analyse ein. Zwei Kriterien spielen dabei eine entscheidende Rolle: Zum einen die Anzahl der Märkte, für die das Patent angemeldet ist, als Maß für die Bedeutung, die der Besitzer seinem Patent zumisst. Größere Märkte erfahren dabei eine stärkere Gewichtung. Zum anderen die Anzahl der Zitationen eines Patents bei der Anmeldung neuer Patente als Indikator, welche Bedeutung Experten dem Patent zumessen. Die Zitationen eines Patents werden durch Zitationen aller Patente in dem entsprechenden Jahr geteilt, um eine faire Vergleichbarkeit über die Zeit zu gewährleisten. Einbezogen werden Patentdaten der Jahre 2000 bis 2019.
Ein realistischeres Bild: Das Beispiel Windkraft
Dadurch wird ein realistischeres Bild von dem gezeichnet, was wirklich wichtig ist, denn:
Weniger als 20 Prozent der Patente in Europa sind mehr als 3 Millionen Euro wert.
Dabei machen sie mehr als 90 Prozent des Gesamtwerts aus (Ernst & Omland 2011). Bei Betrachtung aller Patente wird also viel gezählt, was im Endeffekt wenig Relevanz entfaltet. Bei Betrachtung von Weltklassepatenten ergibt sich ein Bild, was der gelebten Praxis und schlussendlichen Anwendung um einiges näherkommt. Eindrucksvoll belegen kann das der Blick auf die Technologie Windkraft: China patentiert zwar weit mehr als Deutschland bei der Windkraft (16.640 vs. 3.829), weist dort aber gleichzeitig deutlich weniger besonders wichtige Patente auf (300 vs. 958).
Zukunftstechnologien im Bereich Digitalisierung
Die 58 Zukunftstechnologien sind in der Studie in zehn große Technologiebereiche unterteilt. Dazu zählen neben Mobilität, Gesundheit oder Ernährung, auch der Bereich Digitalisierung. Dieser Bereich besteht aus den Technologien Quantencomputing, Blockchain, Virtual Augmented Reality, Big Data, Cloud Computing, sowie Künstliche Intelligenz ermittelt. Die Weltklassepatente in der Technologie Künstliche Intelligenz machen dabei fast die Hälfte aller Weltklassepatente im Bereich Digitalisierung aus.
And the winner is: USA
Es ist nicht überraschend, dass die Vereinigten Staaten im Bereich Digitalisierung in Führung liegen – überraschend ist lediglich, wie groß der Abstand insgesamt und in einzelnen Technologien zu ihren Verfolgern ist. Allerdings beginnt der Vorsprung langsam zu schmelzen. Aus Ostasien holen insbesondere China und Südkorea mit großen Schritten auf.
Europa und Deutschland weisen nur geringe Anteile bei den Weltklassepatente im Bereich Digitalisierung auf und sind damit auch schwächerer als in jedem anderen der verbleibenden neun Technologiebereiche.
Europas größtes Problem: neue Entwicklungen
Ganz besonders tritt Europas Schwäche bei neuen Entwicklungen zutage, in denen es nicht auf sein bestehendes technisches Fundament bauen kann. Erst im vergangenen Jahrzehnt hat die Patententwicklung in der Technologie Blockchain eingesetzt. Während Europa hier in den ersten ein bis zwei Jahren noch mithalten konnte, ist es spätestens seit 2017 in seiner Dynamik stark gegenüber Nordamerika und Ostasien abgefallen. Staaten der Europäischen Union sind in dieser Technologie heute nur marginal vertreten – erst recht seitdem Großbritannien als europäisches Land mit den meisten Blockchain-Weltklassepatenten aus der Union ausgetreten ist.
Fließender Übergang in andere Technologiebereiche
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Technologien 5G und dem Internet der Dinge, die in unserer Studie dem Technologiebereich Infrastruktur zugeordnet werden, aber den Digitalisierungstechnologien sehr nahe kommen. Bei 5G ist vor allem die durch Samsung getriebene Stärke Südkoreas augenfällig, welches mit fast 20 Prozent aller Weltklassepatente in dieser Technologie im Jahr 2019 den zweithöchsten Anteil auf sich vereinen kann – gemessen an der Größe des Landes eine beachtliche Leistung. Deutschland findet sich auch hier nur unter ferner liefen wieder: mit 2,9 Prozent bzw. 6,0 Prozent der Weltklassepatente in den Technologien 5G bzw. Internet der Dinge. Huaweis Chancen darauf, den 5G-Netzausbau in Europa zu übernehmen, stehen nicht zuletzt deshalb gut, weil kein anderes europäisches Land über viele Weltklassepatente in dieser Technologie verfügt.
Digitalisierung als zentrale Querschnittstechnologie
Ob Gaia X als europäisches Leuchtturmprojekt erfolgreich sein wird bleibt abzuwarten. Doch die Notwendigkeit solcher Projekte ist mit Blick auf die internationalen Zahlen der Weltklassepatente fast schon unbestreitbar.
Insbesondere in den Querschnittstechnologien aus dem Bereich Digitalisierung oder diesem Bereich nahe stehende Technologien wie 5G oder dem Internet der Dinge weisen Europa und Deutschland erhebliche Schwächen auf.
Und vor allem hier ist hohe Innovationskraft wichtig, da dies positiv auf andere Zukunftstechnologien ausstrahlt. Wie soll Deutschland seine gute Position in den Technologien Windenergie, 3D-Druck oder Präzisionsmedizin in Zukunft ohne ausreichende digitale Grundlagen verteidigen oder sogar ausbauen können? Es kann also kaum zu viel investiert werden, um Projekte in diesen Technologien gezielt voranzutreiben.
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Ernst, H., & Omland, N. (2011). The Patent Asset Index – A new approach to benchmark patent portfolios. World Patent Information, 33(2), 519-550. doi:10.1016/j.wpi.2010.08.008
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