Es ist Zeit, dass auch die letzten Firmen und Verbände sich auf die Chancen konzentrieren, die in den kommenden Jahrzehnten des Klimaschutzes liegen. Und ihr bisheriges Klimagejammer hinter sich lassen. Die Politik muss ihnen mit Geboten, Gesetzen und Förderprogrammen auf die Sprünge helfen.

Wir dürfen den Standort Deutschland nicht durch Klimaschutz gefährden“, warnte noch vor wenigen Jahren Michael Hüther, der Chef des konservativen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Und auch 2021 rechnet Hüther den Klimaschutz mit zu den „Belastungen“, unter denen etwa die deutsche Automobilindustrie zu leiden hat. In das Horn blasen auch Politiker, wenn sie sich gegen deutsche „Alleingänge“ beim Klimaschutz stemmen, weil dann „eine Branche nach der anderen nicht mehr konkurrenzfähig“ wäre und das zum „Abbau von Arbeitsplätzen“ führe.

Dabei ist genau dieses Verhalten und die Einstellung, Klimaschutz sei Last statt Lust, die größte Bedrohung für den Standort Deutschland.

Expert:innen und Politiker:innen wiegen die Firmen in eine Schläfrigkeit, die am Ende Milliarden-Umsätze und tausende Arbeitsplätze kosten kann. Doch die Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, zu warten.

Denn „Klimaneutralität“ ist das größte Wirtschaftsprogramm seit der Erfindung des Computers. Wie bei Informationstechnik und Internet tun sich hier riesige Märkte auf – die man gestalten oder verschlafen kann.

Paradigmenwechsel „Klimaneutralität“

Richtig ist: Klimaschutz verlangt den Unternehmen einen tiefgreifenden Wandel ab. „Klimaneutralität“ bedeutet, dass alle Wirtschaftsbereiche weltweit in 20 bis 30 Jahren keine CO2-Emissionen mehr aufweisen dürfen – also keine fossilen Ressourcen wie Öl, Gas oder Kohle mehr nutzen können. Weder direkt zur Erzeugung von Strom, Wärme, Kälte oder Prozessdampf. Noch indirekt durch den Einsatz von Koks in der Stahlerzeugung oder dem „Brennen“ von Kalk in der Zementindustrie.

Das ist ein Paradigmenwechsel. Bisher konnten Unternehmen sich damit zufriedengeben, jedes Jahr hier und da ein paar Prozente Müll, Abwasser oder auch CO2 einzusparen. Das war der Job des oder der Umweltbeauftragten, oft ziemlich einsame Mitarbeitende in den unteren Etagen der Firmenhierarchie. Welche Erfolge diese Mitarbeitenden langfristig hatten, war den Chefinnen und Chefs viel zu oft egal. Das ist vorbei.

Jetzt muss die Unternehmensleitung vom Ergebnis her denken und ihren Kund:innen sagen: Das ist unser Weg zu Null-Emissionen. Denn die Kund:innen etwa in der IT-Industrie oder im Fahrzeugbau erwarten von ihren Lieferanten Klimaneutralität.

Und das heißt: Die gesamte Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen und alle Prozesse in der Industrie grundlegend umzubauen, bei denen CO2 freigesetzt wird. Und zwar bis 2030 oder 2040.

Unternehmen, die hier Lösungen liefern können, werden die Apple, Google und Microsoft der Zukunft sein. Das zeigt sich auf vielen Märkten.

Beispiel Ernährung

Die Deutschen geben jedes Jahr 175 Milliarden Euro für Nahrungsmittel aus. Tendenz steigend. Ebenfalls steigend: Der Anteil der Konsument:innen, die zunehmend kritisch auf das Nahrungsmittel Fleisch schauen. Die Zahl der Veganer:innen und Vegetarier:innen steigt laufend. Kluge Unternehmer:innen nutzen den Markt: Die „Rügenwalder Mühle“, Wurstfabrik seit 180 Jahren, hat schon 2015 erkannt: „Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft“ . Und darum vegetarische Aufstriche, Mortadellas und Salamis ins Programm genommen. „Bei den Fleischalternativen erzielte das Unternehmen rekordverdächtige Zuwächse von bis zu 100 Prozent und hält mit großem Abstand seine Spitzenposition in diesem Segment“, hieß es zuletzt stolz.

Beispiel Mobilität

Der weltweite Umsatz der Autoindustrie liegt bei rund 800 Milliarden Euro jährlich. In diesem Markt wird es perspektivisch nur noch klimaneutrale Fahrzeuge geben – meist mit batterieelektrischem Antrieb, in einigen Nischen aber auch mit Wasserstoff oder synthetischem Treibstoff im Tank.

Die deutsche Autoindustrie wurde zu Recht massiv dafür kritisiert, dass sie jahrzehntelang in Brüssel Vorschriften unterlaufen hat, die schon früh zu niedrigeren CO2-Emissionen geführt hätten. Aber auch wenn der Elektropionier Tesla das Bild der kommenden Autos prägt – innerhalb der Entwicklungsabteilungen der deutschen Hersteller wechseln sämtliche talentierten Ingenieur:innen inzwischen von der klassischen Motorentwicklung in die zukunftsträchtigen Bereiche Elektroantriebe und Software. Und inzwischen kommen – laut einer Untersuchung des IW – heute mehr als die Hälfte aller Patente auf autonomes Fahren weltweit aus Deutschland. Die Wirtschaft ist hier viel weiter als Teile der Politik. Automobilkonzerne weltweit sehen in dem Wandel zur Elektromobilität vor allem die Chance, durch intensive Forschung und attraktive Modelle der Konkurrenz Marktanteile abzujagen und den Kuchen in der Branche neu zu verteilen.

Beispiel Energie

Weltweit investieren Unternehmen und Staaten jährlich rund 500.000 Milliarden Euro in Kraftwerke, Stromnetze, Speicher und andere Anlagen, die unsere Energie-Infrastruktur ausmachen. Diese Märkte haben sich gedreht von Kohle- und Gaskraftwerken zu kombinierten Kraftwerken mit Wind, Photovoltaik und Batterien. In Ländern wie den USA ist der Strom aus solchen regenerativen Kombikraftwerken längst billiger als der Strom aus fossilen Anlagen. Und die Investitionen in erneuerbare Energien haben den Investments in Gaskraftwerke schon vor Jahren den Rang abgelaufen. Der internationale Markt für Kohlekraftwerke ist tot – selbst China hat angekündigt, keine Projekte mehr im Ausland zu finanzieren (während sie im Inland weiter ihre Projekte vorantreiben). Internationale Ingenieur-Konzerne wie Siemens oder die amerikanische GE haben ihr Anlagenangebot schon lange umgestellt und sehen die Märkte der Zukunft vor allem in Wind- und Solarkraftwerken sowie Speicheranlagen und einem intelligenten Netzbetrieb.

Beispiel Chemie

Die Chemiebranche setzt weltweit jährlich knapp 5000 Milliarden Euro um und hat sich mit ihrer langen Geschichte an katastrophalen Unfällen den Ruf als Mutter aller Umweltkatastrophen hart erarbeitet (Gift im Rhein, Bhopal und Seveso). Die Chemieindustrie hätte wegen des hohen Energieverbrauchs so einige Gründe, sich gegen den Klimaschutz zu stellen. Doch das ist auch schon Geschichte. Unternehmen wie Bayer wollen bis 2030 „zu 100 Prozent auf Strom aus erneuerbaren Energien umsteigen“ und brauchen dafür die Energie aus Wind- und Solaranlagen. In den Bundesländern wie Brandenburg ist das Angebot an Windkraft für die Chemieindustrie oder Ansiedlungen wie Tesla längst zum Standortfaktor geworden. Und wo die lokalen Quellen nicht ausreichen, beteiligt sich beispielsweise Bayer mit vielen hundert Millionen Euro am Bau des „größten Windparks der Welt“ vor der Küste von Holland. Weil die Chemieindustrie ihren Anlagenpark auf neue, klimaneutrale Techniken umstellen muss, sagt der Chef des Industriegas-lieferanten und Anlagenbauers Linde voraus, dass der „Nachhaltigkeitstrend […] einen Boom im Anlagenbau auslösen wird“.

Was muss jetzt passieren?

Der Job der Politik ist es jetzt, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Das heißt, die erneuerbaren Energien gegenüber den fossilen besser zu stellen – etwa durch einen hohen CO2-Preis. Und natürlich auch, die technischen Lösungen der Zukunft zu fördern. Das wird den europäischen und deutschen Firmen helfen, sich Klimaneutralität als Weltmarkt der Zukunft zu erobern.

 

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