Das gegenwärtige Wirtschaftssystem fußt auf einer radikalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Erde. Es ist kurzsichtig, linear und letztlich degenerativ. Doch Rettung ist in Sicht: Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Laut einer Studie von Deloitte betrachteten 2020 92% der Unternehmen in Deutschland Nachhaltigkeit als wichtiges Thema, 77% haben Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsstrategie integriert. PwC stellte in einer Studie fest, dass jedes der 200 größten Unternehmen in Europa explizit Nachhaltigkeitsziele verfolgt und Nachhaltigkeitsinformationen in seinen Geschäftsberichten veröffentlicht. Laut einer Umfrage von McKinsey gaben 83% der befragten Führungskräfte in Europa im Jahr 2020 an, dass ihr Unternehmen in den letzten fünf Jahren Maßnahmen ergriffen hat, um die Umweltverträglichkeit zu verbessern.
Das klingt gut. Aber ist vermutlich bei weitem nicht gut genug. Warum?
Dafür müssen wir zunächst einen einordnenden Blick auf die Vergangenheit richten. Denn nicht erst seit Fridays for Future ist Nachhaltigkeit weit oben auf der Agenda von Staaten, multinationalen Unternehmen und der Zivilgesellschaft. Spätestens seit dem UN-Gipfel in Rio de Janeiro 1992, auf dem sich nahezu alle Nationalstaaten der Erde dazu verpflichtet haben, zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, ist das Ziel eindeutig definiert: Die Menschheit verpflichtet sich so mit den natürlichen Ressourcen umzugehen, dass zukünftige Generationen in ihrer Bedürfnisbefriedigung nicht durch die Bedürfnisbefriedigung der aktuellen Generation eingeschränkt werden. Das heißt unter anderem, dass Ressourcen, die uns die Natur Jahr für Jahr aufs Neue zur Verfügung stellt, nicht über ihre Regenerationsfähigkeit hinaus verwendet werden.
Zu konstatieren ist jedoch, dass dieses Ziel in den letzten drei Jahrzehnten nicht erreicht wurde. Im Gegenteil. Statt der angestrebten nachhaltigen Entwicklung hat de facto eine degenerative Entwicklung stattgefunden. Doch was genau heißt das? Der Begriff „degenerativ“ bezieht sich auf einen Prozess des Verfalls oder der Verschlechterung im Laufe der Zeit. Im Kontext der Ökologie kann sich ein degenerativer Prozess auf die Degradierung natürlicher Systeme, der Artenvielfalt oder bestimmter Lebensräume beziehen. Degenerative Prozesse können durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht werden, z. B. durch den menschgemachten Klimawandel, die Zerstörung von Lebensräumen durch Viehwirtschaft, die übermäßige Ausbeutung von Ressourcen durch extensive Landwirtschaft oder durch Umweltverschmutzung z.B. der Einführung von Plastik in die Natur.
Warum Nachhaltigkeit heute nicht mehr ausreicht.
Das vorherrschende Verständnis von Nachhaltigkeit in Unternehmen stellt (weiterhin) klassische Geschäftszwecke in den Mittelpunkt und sucht nach Strategien für weniger schädliche soziale und ökologische Praktiken („Dinge weniger schlecht tun“), um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Unternehmen konzentrieren sich darauf, ressourcenschonender zu wirtschaften. Dabei haben ihre Bemühungen eine inhärente Einschränkung: Sie sind in der Regel bestrebt, Prozesse und Produkte „effizienter“ zu gestalten, d. h. weniger Ressourcen für jedes hergestellte Produkt zu verbrauchen, gleichzeitig aber als Unternehmen zu wachsen und mehr Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen.
So haben diese Unternehmen zwar „grünere“ Produkte, verursachen aber dennoch Schäden. Bestenfalls streben sie danach, die negativen Auswirkungen ihrer Wertschöpfung auszugleichen und zu kompensieren („netto-null“).
In Wissenschaft und Praxis steht daher einer Paradigmenwechsel an. Die Regenerationsbewegung fordert: Nachhaltigkeit ist nicht ausreichend; die Bewahrung des Zustands der Erde auf dem derzeitigen Niveau ist vor dem Hintergrund bereits überschrittener planetarer Grenzen nicht genug. Stattdessen muss unser Wirtschaftssystem so ungestaltet werden, dass die Wirtschaft als Ganzes „mehr zurückgibt als sie nimmt“, indem sie Unternehmen und Institutionen aufbaut, die Voraussetzungen für die Wiederherstellung und das Gedeihen des Lebens schaffen („die richtigen Dinge tun“). Klar ist: Die Zukunft erfolgreichen menschlichen Lebens in Wohlstand auf unserem Planeten wird wesentlich von der Regeneration natürlicher Ressourcen und der Gestaltung widerstandsfähiger natürlicher, aber auch sozialer Systeme abhängen. Gleichzeitig muss Natur überall dort erhalten werden, wo die biologische Vielfalt noch intakt ist.
Was ist regeneratives Wirtschaften?
Beim Konzept des regenerativen Wirtschaftens handelt es sich um einen ganzheitlichen, systemischen Ansatz, der sich zunächst im Bereich der Stadt- und Regionalplanung entwickelt hat. Grob kann Regeneratives Wirtschaften als das Wirtschaften in co-kreativer Partnerschaft mit der Natur zur Wiederherstellung und Regeneration des globalen sozial-ökologischen Systems definiert werden.
Regenerative Unternehmen erkennen an, dass sie in die natürliche Umwelt eingebettet und von dieser abhängig sind und innerhalb der Grenzen der natürlichen Systeme funktionieren müssen.
Kleine Veränderungen in einem Teil des Systems können erhebliche Auswirkungen auf andere Teile des Systems haben. Daher ist systemisches Denken für eine regenerative Wirtschaft unerlässlich, um die Verbindungen und Abhängigkeiten zu identifizieren und herauszufinden, wie sie integriert und optimiert werden können, um positive Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft zu erzielen.
Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle regenerativ (um)gestalten, verfolgen einen gesellschaftlichen Zweck, der für das gesamte sozial-ökologische System einen netto-positiven Mehrwert bedeutet. Dies bedeutet, dass das Unternehmen mit Hilfe einer Outside-in-Perspektive gezielt bestehende ökologische und/oder gesellschaftliche Probleme erkennt, und versucht, diese unternehmerisch zu lösen. Für bestehende Unternehmen bedeutet dies in der Regel eine umfassende Transformation bestehender Logiken. Zudem sind neue Kennzahlen erforderlich, um den Erfolg zu messen. Methoden wie True Cost Accounting und die Natural Capital Accounting sind Beispiele dafür, wie dies umgesetzt werden kann. Pionierunternehmen zeigen zudem, dass regenerative Geschäftsmodelle einen anderen Umgang mit Kernpartnern induzieren. Dies betrifft insbesondere Partner in der Lieferkette, die möglicherweise weit vom Hauptsitz des Unternehmens entfernt sind, aber im Hinblick auf den ökologischen und sozialen Impact besonders relevant sind. Insgesamt sollten regenerative Unternehmen eine viel größere Anzahl an Stakeholdern bei der Gestaltung ihrer Geschäftsmodelle einbeziehen: Mitarbeitende, Lieferanten, lokale Gemeinschaften und natürlich alle natürlichen Systeme, die entlang der Wertschöpfungskette betroffen sind.
Das Institut für Regeneratives Wirtschaften (REGWI)
Konzept und Umsetzung des regenerativen Wirtschaftens befindet sich noch in einem frühen Stadium. Gegenwärtig gibt es keine allgemein akzeptierte Definition und keinen präzisen Rahmen dafür, was eine regenerative Wirtschaft bzw. noch viel weniger welche Charakteristika regenerative Unternehmen ausmachen. Am Institut für Regeneratives Wirtschaften (REGWI) arbeiten wir seit 2022 daran, Ansätze des regenerativen Wirtschaftens gemeinsam mit Akteur:innen aus Pionierunternehmen und Wissenschaftler:innen weiterzuentwickeln, kritisch zu reflektieren und Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft zu transferieren. Als An-Institut der Alanus Hochschule tragen wir zudem Wissen und Methoden in die akademische Ausbildung von Führungskräften für zukünftige regenerative Unternehmen. Für offenen Austausch, Begleitforschung und gemeinsame Veranstaltungen stehen wir gerne zur Verfügung. Denn eine schnelle Transformation zu einer regenerativen Wirtschaft bedarf kooperativer Zusammenarbeit, Wissensaustausch und gemeinsamer Wissensverbreitung.
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