Die öffentliche Hand kauft pro Jahr Waren und Dienstleistungen im Wert von 350 bis 550 Milliarden Euro ein. Das entspricht bis zu 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes (vgl. Eßig und Schaupp 2016; BMWK 2023: 9). Bereits seit über einem Jahrzehnt können bei öffentlichen Vergaben Nachhaltigkeitskriterien einbezogen werden. Der Staat auf allen Ebenen hat damit einen enorm großen Hebel zur Verfügung, die Märkte durch sein Beschaffungsverhalten wesentlich zu gestalten. Er setzt also nicht nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und lenkt den Markt über seine Förderinstrumente, sondern er tritt auch selbst als großer Marktteilnehmer auf. Hierdurch kann die öffentliche Hand wichtige Impulse für die Nachhaltigkeitstransformation setzen.
Nachhaltige Beschaffung
Die Politik hat dieses Potenzial schon seit geraumer Zeit erkannt. Auf Ebene der EU wurde bereits im Jahr 2008 das ehrgeizige Ziel formuliert, bis zum Jahr 2010 mindestens die Hälfte der Vergaben unter Berücksichtigung von umweltbezogenen Kriterien durchzuführen (EU-Kommission 2008). Auch in Deutschland wurde mit der letzten Reform des Vergaberechts im Jahr 2014 die Berücksichtigung von umweltbezogenen, sozialen und innovationsbezogenen Kriterien im § 127 Abs. 1 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung) ermöglicht und der Zuschlag für das wirtschaftlichste Angebot vorgeschrieben. Seit dem Jahr 2021 besteht für Dienststellen des Bundes mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) sogar die rechtliche Vorgabe (mit einigen Ausnahmen wie dem Rüstungssektor), klimafreundlich zu beschaffen und hierbei neben einem CO2-Preis auch ausdrücklich Aspekte der Kreislaufwirtschaft zu berücksichtigen. So sollen zur Erstellung der Energiebilanz des zu beschaffenden Produktes die Emissionen des gesamten Lebenszyklus, also auch Wartung, Recycling und Entsorgung, berücksichtigt und zudem geprüft werden, „ob anstelle des Neukaufs die Reparatur eines vorhandenen Produkts, der Kauf eines gebrauchten Produkts, Miete oder Leasing ein klima- und umweltfreundlicheres Mittel der Beschaffung darstellen“ kann (§ 2 Abs. 1 AVV).
Erstes Zwischenfazit: Im Gegensatz zu der häufig gehörten Aussage, dass die rechtlichen Bedingungen eine nachhaltige Beschaffung kaum zuließen, ermöglichen bzw. verlangen diese schon seit geraumer Zeit die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten.
Von Vorgaben zu Praxis
Doch trotz dieses Rechtsrahmens nutzt die öffentliche Hand bislang kaum ihr Potenzial als Treiberin der Nachhaltigkeitstransformation. So wurden laut Vergabestatistik im Jahr 2021 auf allen föderalen Ebenen gerade einmal bei 13 Prozent der Vergaben Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt (vgl. Kozuch et al. 2024: 18). Eine Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung vertieft diese Thematik in zweierlei Hinsicht auf Ebene der deutschen Kommunen. Zum einen analysiert sie deutlich differenzierter als die Vergabestatistik, welche Aspekte der Nachhaltigkeit – unter anderem auch die Kreislaufwirtschaft – von den Kommunen bei Vergaben berücksichtigt werden. Und zum anderen ermöglicht sie durch die Nutzung der Daten der europäischen Datenbank „Tenders Electronic Daily“ im Gegensatz zur Vergabestatistik eine Zeitreihe seit dem Jahr 2011, anhand derer Trends im Beschaffungsverhalten der öffentlichen Hand nachvollzogen werden können.
Kreislaufwirtschaft vernachlässigt
Im Ergebnis zeigt die Studie eine große Lücke zwischen politischem Anspruch an die Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung und der tatsächlichen Umsetzung – die Autoren und Autorinnen sprechen in diesem Zusammenhang vom „Intention-Action-Gap“ (Kozuch et al. 2024: 14). Wie in Abbildung 1 zu sehen, wurden im untersuchten Zeitraum von 2011 bis 2023 von den Kommunalverwaltungen insgesamt nur 17,1 Prozent der Aufträge mit Nachhaltigkeitskriterien vergeben. Besonders auffällig ist dabei der negative Trend. Denn obwohl Nachhaltigkeit im öffentlichen Diskurs eine immer wichtigere Rolle einnimmt, sind die unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten durchgeführten Vergaben zwischen 2012 und 2023 von 23,3 Prozent auf 13,7 Prozent deutlich zurückgegangen (vgl. ebd.: 19 f.).

Kreislaufwirtschaftliche Aspekte wie die Zerlegbarkeit des Produkts, das Abfallaufkommen oder eine Rückwärtslogistik wurden bei knapp 0,5 Prozent der Vergaben berücksichtigt (vgl. ebd.: 22). Allerdings ist zu betonen, dass einige Aspekte der Kreislaufwirtschaft auch in den anderen Kategorien abgebildet werden. So wird beispielsweise in der Studie die Langlebigkeit eines Produkts als umweltbezogenes Kriterium definiert und die Nutzung von Leasingprodukten fällt in die Kategorie der wirtschaftlichen Aspekte. Trotz dieser inhaltlichen Überschneidungen ist festzuhalten, dass kreislaufwirtschaftliche Aspekte vor allem in umfassender und systematisierter Weise bislang kaum in den kommunalen Vergabeprozessen Berücksichtigung finden.
Zweites Zwischenfazit: Die Nachhaltigkeit ist in der öffentlichen Beschaffung auf dem Rückzug und kreislaufwirtschaftliche Aspekte werden nur sehr bedingt berücksichtigt.
Ursachen des Intention-Action-Gaps
Aber was sind die Ursachen für diesen „Intention-Action-Gap“ und welche Lösungsansätze für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung gibt es? Kozuch et al. (2024) identifizieren sechzehn Defizite, die sie in vier Felder zusammenfassen:
- Recht und Regulierung,
- Management und Strategie,
- Strukturen und Prozesse,
- Märkte und Anspruchsgruppen.
Besonders im Feld Management und Strategie sehen die Autoren und Autorinnen eine hohe Konzentration von relevanten Defiziten, so z. B. in Bezug auf den Professionalisierungsgrad der Beschaffer:innen oder die Unterstützung durch die Führungskräfte. So fehle dem Beschaffungspersonal häufig die Fachkompetenzen für ein nachhaltig ausgerichtetes Vergabewesen, die über Aus- und Weiterbildung erlangt werden könnten. Zudem seien sich die verantwortlichen Personen häufig nicht der grundlegenden Prinzipien nachhaltiger Beschaffung wie die Lebenszykluskostenrechnung oder CO2-Preisen bewusst. In Bezug auf die Führungskräfte sei es besonders wichtig, dass diese dem Beschaffungspersonal gegenüber ermutigend in Bezug auf eine nachhaltige öffentliche Beschaffung auftrete und klare sowie erreichbare strategische Ziele setze und die Zielerreichung auch kontrolliere.
Rechtliche Unsicherheiten
Zwei weitere Defizite sind gemäß der Studie nennenswert. Wenngleich oben gezeigt wurde, dass das Vergaberecht die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit vorsieht, so ist das Sicherheitsdefizit aus dem Feld Recht und Regulierung ein weiteres relevantes Defizit. Bei den Beschaffern und Beschafferinnen herrscht demnach ein hoher Grad an Verunsicherung in Bezug auf die Rechtssicherheit bei Vergaben unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. Besonders die potenzielle Diskriminierung von Anbietenden durch die Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien und das damit verbundene Risiko, dass die Vergabe gerichtlich angefochten wird, lässt offensichtlich viele Vergabestellen von dem Einbezug von Nachhaltigkeitsaspekten absehen. Als Lösung bieten sich hier Standards an, z. B. in Bezug auf Nachhaltigkeitskriterien bei Bauvorhaben oder Reinigungsdienstleistungen, die eine rechtssichere Vergabe gewährleisten (vgl. ebd.: 27 ff.). So bietet auch die Europäische Kommission mit den „Green Public Procurement Criteria and Requirements“ einen Kriterien- und Anforderungskatalog an, der für mehr Rechtssicherheit und gleichzeitig mehr Nachhaltigkeit sorgen soll (vgl. EU-Kommission 2025).
Herausforderungen bei nachhaltigen Angeboten
Im Feld Märkte und Anspruchsgruppen sticht das Angebotsdefizit hervor. Dieses beschreibt die fehlende Bereitschaft des Markts, nachhaltige Produkte anzubieten. Bleiben Angebote auf die Ausschreibungen der öffentlichen Hand aus, kann dies die Bereitstellung von grundlegenden Leistungen des Staates beeinträchtigen. Daher ist öffentlichen Vergabestellen nachvollziehbar daran gelegen, die Ausschreibungen so zu gestalten, dass sie auch wirtschaftliche Angebote erhalten. Wenn die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsaspekte einer Ware oder Dienstleistung zu hoch angesetzt werden, kann es dazu führen, dass das Einreichen eines Angebots für potenzielle Anbietende unattraktiv wird oder sogar noch gar kein Produkt existiert, welches die Anforderungen erfüllt. Um hier aber nachhaltige Impulse für den Markt setzen zu können, empfiehlt sich besonders auf kommunaler Ebene die Zentralisierung der Beschaffung, ggf. sogar interkommunal. Dadurch kann eine Marktmacht entstehen, auf die der Markt, besonders auch kleinere und mittlere Unternehmen, reagiert und seine Angebote an die Anforderungen anpasst. Zudem kann die Einführung eines Lieferantenmanagements diesen Prozess unterstützen und beschleunigen. Hierunter fallen die Lieferantenorientierung, die Marktdialoge etc. als Voraussetzung dafür, dass Vergabestellen marktorientiert ausschreiben können. Nur wer den Markt und besonders die nachhaltigen Angebote kennt, kann realistische und gleichzeitig diskriminierungsfreie Ausschreibungen erstellen (vgl. Kozuch et al.: 27 ff.).
Finales Fazit
Insgesamt ist festzuhalten, dass das Thema Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung kein neues mehr ist und die rechtlichen Rahmenbedingungen seit mehr als einem Jahrzehnt die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten ermöglichen und auf Bundesebene sogar seit 2021 vorschreiben. Dennoch zeigen empirische Auswertungen, dass der Staat seiner Verantwortung für die Nachhaltigkeitstransformation bislang nicht nachkommt. Wer – völlig zu Recht – von privatwirtschaftlichen Unternehmen ein zunehmendes Engagement für eine nachhaltige Entwicklung einfordert, der muss diesem Anspruch auch selbst gerecht werden (bei der Bundeswehr wird dieses Leitbild unter dem Slogan „Führen durch Vorbild!“ gefasst). Für die identifizierten Defizite gibt es adäquate Lösungsansätze, sodass ein deutlicher Aufwärtstrend für die nachhaltige öffentliche Beschaffung möglich ist und in Anbetracht der großen globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und des Biodiversitätsverlusts dringend geboten scheint. Besonders für Aspekte der Kreislaufwirtschaft gibt es noch ein enormes und bislang ungenutztes Potenzial in der öffentlichen Beschaffung, welches nicht nur aus ökologischer Sicht lohnend ist, zu heben, sondern auch aus ökonomischer Perspektive. Denn in der Entwicklung einer Circular Economy in Deutschland – im engen Schulterschluss zwischen Markt und Staat – liegt auch das Potenzial für wirtschaftliche Entwicklung und den Erhalt unseres Wohlstands in der Zukunft.
Dies ist ein Beitrag vom Booksprint: Re:use • Re:think • Re:volution Endlos gut – warum die Zukunft im Kreis läuft
Literatur
BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023): Innovative öffentliche Beschaffung. Leitfaden (3. Auflage). Berlin.
Eßig, Michael und Markus Schaupp (2016): Ermittlung des innovationsrelevanten Beschaffungsvolumens des öffentlichen Sektors als Grundlage für eine innovative öffentliche Beschaffung. Neubiberg.
EU-Kommission (2008): Umweltorientiertes Öffentliches Beschaffungswesen. KOM(2008) 400 endgültig. Brüssel.
EU-Kommission (2025): Green Public Procurement Criteria and Requirements. Online abrufbar unter https://green-forum.ec.europa.eu/green-public-procurement/gpp-criteria-and-requirements_en (Abrufdatum: 24.6.2025).
Kozuch, Alessa, Christian von Deimling und Michael Eßig, Michael (2024): Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Gütersloh.
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