Die Entscheidung
Innovationen werden aus Wissen gemacht, und dazu muss Wissen fließen. Wie schafft man das in einer Organisation, in der Abteilungen, Bereiche und Hierarchien traditionell Gräben und Grenzen ziehen? Der Begriff Spaghetti-Organisation zeigt es auf! Und ganz wichtig: wie viel Unterstützung wofür ist überhaupt gewollt? Zum Wohle des Unternehmens.
Beim alten Prinzip der Standplatzmontage beispielsweise, standen die Maschinen bis zur Auslieferung an einem Platz, um den sich wochenlang alles sammelte. Spagetti-Diagramm nennen wir das frühere Gewirr von Linien, die die Bewegungen von Menschen, Material und Informationen um die Maschinen herum nachzeichnen. Das wirre Netz zeigt eine Komplexität, die auf verschiedene Weise bekämpft wurde. Zum Beispiel durch das Anlegen von Angstbeständen – einem eisernen Vorrat an eigentlich überflüssigem Material, das im Zweifel für eine spontane Problemlösung reicht. Dennoch gab es viel Leerlauf und Improvisationen. Wenn der Monteur heute dasselbe Problem im Zwei-Stunden-Takt hat, ruft er irgendwann beim Lieferanten an und sagt: die Bohrung muss um zehn Millimeter nach links. Der Problemlösungsdruck ist heute höher und betrifft alle.
Die Diagnose
Nehmen wir die überlegene Konkurrenz: kein Unternehmen weiß genau, woran in den Entwicklungslaboren der Wettbewerber gerade geforscht wird, es sei denn, es betreibt Industriespionage, aber das ist – hoffentlich – keine dauerhaft Lösung. Es kann also durchaus sein, dass mein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt und ein Mitbewerber einfach schneller oder besser war. Manchmal hat ein Konkurrent auch einfach mehr Marktmacht und kann allein durch gutes Marketing die Innovation des anderen verhindern. Ein Beispiel aus der Wirtschaftsgeschichte: zeitgleich mit dem Elektrokühlschrank wurde der Gaskühlschrank entwickelt.
Zum damaligen Zeitpunkt war Letzterer dem Elektrokühlschrank eindeutig überlegen: er brummt nicht, hat niedrigere Unterhaltungskosten, ausserdem gab es in den Haushalten wesentlich mehr Gas- als Elektroanschlüsse. Trotzdem setzte sich am Ende der Elektrokühlschrank durch. Warum? Weil hinter dem Elektrokühlschrank die grossen Elektrokonzerne standen. Die hatten einfach mehr Marktanteil als die Erfinder des Gaskühlschrankes. Das Neue ist eben neu – und in all seinen Konsequenzen nicht absehbar.
Die Rettung
Innovationen sind unser Lebenselixier. Wieviel Innovation wollen wir uns überhaupt zumuten? Wie nötig ist sie? Und ganz wichtig: was passiert, wenn nichts passiert? Daraus ergibt sich, dass Innovation nicht kostenlos zu haben ist. Die Vielfalt der Gedanken, die Innovationen hervorbringen, schmälert die Effizienz – trägt aber reiche Früchte der Anpassungsfähigkeit. Alle reden von Innovation – und betreiben Imitation. Wer immer nur dem Vordermann nachrennt, wird niemals Erster. Der Traum ist alles, die Technik ist nichts, die kann man lernen.
Ein Beispiel für die Übertragung von Kernkompetenzen von einem Bereich auf einen ganz anderen findet sich in der Musikgeschichte im Köchelverzeichnis, abgekürzt KV, dem chronologisch-thematischen Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Mozarts. Ludwig Ritter von Köchel (1800 bis 1877), der in Nachschlagewerken als Musikexperte genannt wird, war in Wirklichkeit Professor für Botanik und Mineralogie, der naturwissenschaftliche Methoden für die Klassifizierung von Tonwerken benutzt hat. Kernkompetenzen sind, integrierte und durch organisationale Lernprozesse koordinierte Gesamtheiten von Technologien, Know-how und Prozessen, die schwer imitierbar sind und den Kunden, aber auch den übrigen Stakeholders Nutzen und Werte bieten.
Ein häufiger Fehler ist die Konzentration allein auf die Neuentwicklung von Produkten – auch Prozesse können innovativ sein und den Kundennutzen deutlich erhöhen, etwa in Industrien, in denen der Preis das Hauptkaufkriterium ist. Marketing und Vertrieb kennen sich bis ins Detail mit der vorhandenen Produktpalette aus, das neue Produkt ist ihnen jedoch so fremd wie dem Kunden.
Studieren ist gut, Reden ist besser
Warum sollte nun der junge Facharbeiter im Unternehmen übertriebene Kooperationsbereitschaft an den Tag legen? Verlangen wir da nicht zuviel von ihm? Sind die Lernmuster der berufsorientierten Menschen hier nicht schon allzu stark verfestigt? Reichen die Anreize aus, um die im menschlichen Verhalten vorhandenen Ansätze zur Zusammenarbeit zu belohnen? An dieser Stelle zeigt sich die positive Sauerteig-Wirkung von Innovationen.
Voraussetzung für die Innovationsfähigkeit ist Wissen. Wissen wird individuell erworben und gepflegt. Es bildet die Basis dafür, dass die Mitarbeiter sich orientieren, dass sie Stellung beziehen und dass sie Einfluss ausüben können. Der Wissensschatz gibt ein Gefühl der Sicherheit zur Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Aufgaben (Wissen ist Macht). Innovationen bedeuten jedoch, gewohnten Boden zu verlassen, neue Wege zu gehen und herkömmliches Wissen gegebenenfalls zu verwerfen. Angstfreiheit ist die Voraussetzung für ein Loslösen von gewohnten Denkschemata. Innovative Unternehmen sollten sowohl den Ideen- und Informationsfluss von unten nach oben (innerhalb eines Bereiches), als auch in horizontaler Richtung (innerhalb der Gesamtorganisation) fördern, so dass ein Informationsnetz entsteht.
Aufgrund unterschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen kommt es bei gleichen Anreizen zu andersartigen Reaktionen und Motivationen darauf (Hemmnispyramide). Die leicht beeinflussbaren Hemmnisarbeiten liegen unten, die schwerer beeinflussbaren oben. Der Abbau der Hemmnisse von unten nach oben kann mit folgenden Gedanken beschrieben werden: Was man nicht kennt, das kann man nicht; was man nicht kann, das wagt man nicht; was man nicht wagt, das will man nicht; und wer nicht will, der handelt nicht oder anders, als man es sich wünscht.
Neu aufkommende digitale Technik
Der Abbau dieser Hemmnisse im Eiweiss-Computer kann eine ganze Industriestruktur verändern: große Mischpulte in Tonstudios etwa basierten lange Zeit auf analoger Technik. Im Markt tätig waren viele kleine, zum Teil auf einzelen Anwender, wie im Fall Radiosender, spezialisierte Unternehmen. Die Industrierendite tendierte gegen Null. Gute Analogtechnik war nach Meinung der Betreiber genauso gut wie die seinerzeit neu aufkommende digitale Technik; bei physikalischen Parametern, wie Signal-Rausch-Verhältnis, Grundrauschen und Phaseneinheit schnitten beide Technologien gleich ab. Zudem waren die digitalen Mischpulte am Anfang sehr viel teurer als die analogen.
Und doch setzte sich die digitale Technik sehr viel rascher durch als angenommen. Sie wies nämlich, wie sich zeigte, ganz neue Leistungsmerkmale auf, die die analoge Technik nicht bieten konnte, beispielsweise flexible Konfiguration und Speichermöglichkeit. So führte die Speicher-Option dazu, dass sich die Produktivität der Studios deutlich erhöhte. So war es jetzt möglich, mit einem einzigen Mischpult morgens mit der Aufnahme einer Sinfonie zu beginnen, abends Rockmusik aufzunehmen und am nächsten Morgen wieder mit der Sinfonie weiterzumachen.
Da sich die Digitaltechnik wegen der hohen Anfangsinvestitionen nur wenige Anbieter leisten konnten und die speziellen Anpassungen an die individuellen Kundenwünsche relativ preiswert über Software-Änderungen bei gleicher Hardware erzielt werden konnten, kam es zu einer Konzentration des Wettbewerbs, die Industrierendite erhöhte sich auf über 7 Prozent. Innovationen beschränken sich also nicht ausschliesslich auf Technik, sie sind in Arbeitsorganisationen und -abläufen oft besonders erfolgreich.
Der Mitarbeiter ist so wichtig wie der Kunde
Alles Neue birgt Gefahren (möglicher Verlust von Besitzständen, unvorhersehbare Folgen unüberschaubarer Technik et cetera). Diese German Angst wird individuell empfunden und interpretiert, so dass die Reaktionen auf Innovationen von Person zu Person sehr unterschiedlich sein können. Mit TTIP und Privacy-Shield wird sich m.E. der weltweite Wettbewerb um Standorte und damit um Arbeitsplätze weiter verschärfen. Da das Lohnkostenniveau in Deutschland eine Spitzenstellung einnimmt, wird sich der Digitalisierungsdruck auf deutsche Unternehmen wesentlich erhöhen.
Sie müssen sowohl ihre technischen Potenziale mobilisieren (High-Tech), als auch durch eine bessere Organisation und Motivation die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter weiter fördern (High-Org). Ein betriebliches Vorschlagswesen kann die Ideengewinnung aktiv unterstützen. Willensbarrieren können sich zum Beispiel äußern durch: Gleichgültigkeit gegenüber dem Betriebsgeschehen, mangelnde Einsatzfreude, Informationszurückhaltung, erhöhte Fehlerquoten, Absentismus, Bereichsdenken, Schubladendenken, Nicht-von-mir-Effekt oder innere Kündigung.
Ein Schritt zurück, zwei nach vorn
Alle strategischen Vorschläge können letztlich an der Messlatte Finanzierung scheitern, kommt doch dem zukünftigen Industrie4.0-Finanzierungsrahmen eine besonders große Bedeutung zu. Die neuen zukünftigen Märkte können nur mit Innovation, mit ständig besseren Produkten und Dienstleistungen und dem entsprechenden Service erobert werden. Die Frage, ob Eigenleistung oder Fremdbezug, wird in einem globalen Binnenmarkt anders beantwortet werden müssen als vorher.
Ein bekanntes Beispiel sind die Grundstoff-Industrien. Auch wer die Digital-Euphorie mancher Politiker nicht teil, sollte die Zeit, die bis zur endgültigen Umsetzung noch verstreichen wird, nicht ungenutzt lassen, sondern für die eigene Positionsbestimmung verwenden. Innovation zeigt: Der Mensch wird zum zentralen Wettbewerbsfaktor, das Thema zum Nukleus der neuen Organisation, das Lernen bezieht sich nicht mehr ausschließlich auf individuelle Qualifikation und Kompetenzen, sondern auf interindividuelle Zusammenhänge und organisatorische Netzwerke und Kontexte. Institutionell wie auch inhaltlich wird Innovation für mich damit zur zentralen Herausforderung des Managements betrieblichen und digitalen Wandels, sowohl auf der Ebene von Organisationen, als auch auf der Ebene von Personal und Qualifikation.
Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Alltag – Innovation geht überall
Natürlich ist die Substitution von Arbeit durch Kapital auch eine politische und gesellschaftliche Herausforderung. Dabei wird von den Politikern und Tarifparteien noch viel zu leisten sein. Die Erwerbsgesellschaft befindet sich in einem allmählichen Übergang hin zur Freizeitgesellschaft. Parallel zum ökonomischen und technologischen Wandel vollzieht sich ein nicht weniger gravierender sozialer Wandel und Wertewandel.
Schließlich ist noch ein dritter Faktor zu nennen, der für international tätige Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat: die Eigendynamik, welche die Kapitalmärkte seit einiger Zeit entwickelt haben, hat deutliche Folgen für die Budgetplanung der Unternehmen, ebenso wie kundenspezifische Präferenzen, die jeweiligen Preispolitiken und das gesellschaftliche Umfeld. Networking, Eigenverantwortung, Engagement, Sozialkompetenz, Leistung. Und Dynamik. Sie steht letztlich für die Fähigkeit, neue Projekte zu erkennen, anzuschieben und zum Erfolg zu treiben.
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Was mich an den beiden Beiträgen begeistert ist, dass Jan nicht Organisationsberater, sondern Geschäftsführer einen Hidden Champion ist. Da habe seine Worte eine ganz andere Glaubwürdigkeit, basierend auf Praxis und Rückschlägen … Schade, nur jeweils ca. 100 Leser … Er hat mehr verdient … 🙂