Ein Beitrag von Dr. Rüdiger Keller und Sebastian Lesch
Lernen und Arbeiten wird gerne getrennt voneinander betrachtet. Arbeiten findet vorwiegend am Arbeitsplatz statt und wenn man etwas Neues lernen möchte, so fragt man einen Vorgesetzten nach der Teilnahme an einem Seminar. Dieser schickt den Mitarbeiter dann auf ein Training, so dass man danach etwas „kann“, bestätigt durch ein Zertifikat. Und nur das wird oftmals als “echte” Weiterbildung empfunden.
Wer googelt, der findet.
Nun – spätestens seit der Digitalisierung ist dieser Gedanke überholt. Mitarbeiter lernen nicht separat, sondern Lernen findet immer und überall statt. Wenn man etwas nicht weiß, ist es heutzutage vollkommen normal, es zu „googlen“. Hierbei stelle ich Google meine Frage, suche nach Antworten, wende diese an und habe damit mein Problem gelöst. Gleichzeitig habe ich mir dieses Vorgehen gemerkt, so dass ich beim nächsten Mal das Problem lösen kann.
Die Zeit von dem Erkennen einer Herausforderung bis zu seiner Lösung ist in der neuen Arbeitswelt durch das Internet wesentlich kürzer geworden. Die Fragen, die wir Suchmaschinen anvertrauen, sind dabei meist eher kleinerer Natur: Vokabeln, Modelle, Excelformeln, Definitionen – Alles Wissensbausteine, die oftmals kleine Informationseinheiten sind. Dabei lernen wir, ganz unbewusst, in kleinen Etappen. Wie bei einem Puzzle fügen wir unserem Wissen ein weiteres Puzzleteil hinzu, so dass ein vorhandenes Bild kompletter oder aktueller wird.
Sicherlich – nicht alle Fertigkeiten lassen sich ergooglen. Aber das suchen, finden und erlernen von Wissen hat sich inzwischen zu einem festen Bestandteil der Arbeitswelt etabliert. Früher war es schwieriger, einen Experten für ein Problem zu finden, so dass die Relevanz von formalen Trainings wesentlich höher war. In der heutigen Zeit ist Wissen nicht die Herausforderung, es gilt eher, das richtige Wissen zu finden, es zu verstehen und zur Anwendung zu bringen. Und hier liegt nachwievor der Mehrwert von Trainings: Etwas zu googlen ist einfach, aber das Wissen, welches ich erhalte, muss anschlussfähig sein, sprich, ich kann damit etwas anfangen. Kann ich das nicht, so fehlen mir wichtige Grundlagen. Diese kann ich zwar autodidaktisch erwerben, doch nicht jeder hat die Motivation, sich in komplexe Inhalte selbstständig einzuarbeiten. Hier kann ein Trainingsangebot weiterhelfen, das den Mitarbeiter didaktisch anleitet und zum gewünschten Ziel führt.
70/20/10 oder 80/15/5 – darauf kommt es nicht an.
Lernen sollte als ein Prozess verstanden werden, der ständig stattfindet. Das sogenannte Modell 70/20/10 wird derzeit zwar überstrapaziert, es trifft aber die Realität. 10% lernen wir durch formale Seminare, 20% durch soziale Interaktionen wie z.B. mit Kollegen, und 70% erwerben wir en passant im tagtäglichen Beruf, den wir ausüben. Unabhängig ob diese Zahlen exakt so stimmen, so gibt das Modell wieder, das viel Lernen im Alltag geschieht. Lernen ist ein ganzheitlicher Prozess, die einzelnen Bausteine eher Szenarien, die sich am Ende zu einem Gesamtbild formen.
Zurück zu unserem Mitarbeiter, der auf einem Seminar war: Bisher war es so, dass man nach einem Training (sofern dieses nicht grundlegende, sich verändernde Arbeitsprozesse behandelte) wieder an seinen Arbeitsplatz kam und versuchte, das neu erlernte Wissen zur Anwendung zu bringen – was mit ein bisschen Glück in Teilen auch gelang. Jedoch vieles, was man sich vornahm, klappte in der Praxis dann nicht so recht. Entweder, weil es zu praxisfern war.
Oder, weil die Umstellung so viel Anfangsenergie kostete, dass man nach geraumer Zeit wieder zum alten Muster zurückkehrte. Der Transfer des Gelernten ist der schwierigste Teil. Genau hier verändert sich die Welt derzeit. Denn wenn es also stimmt, dass Lernen in der digitalen Welt in stetigen kleinen Schritten erfolgt, so wird sich die Rolle, die Trainingsabteilungen und Personalentwicklungen künftig in der Arbeitswelt 4.0 einnehmen werden, verändern.
Classroom-Training
Lernarchitekturen in Zeiten der Digitalisierung werden sich vor allem auf zwei Dinge beziehen: Einerseits kurze, gefilterte und kontextbezogene Lernhilfen anzubieten. Im „echten“ Training wird das bedeuten, dass es künftig verstärkt kurze Classroom-Trainings von 30 Minuten bis 2 Stunden geben wird. Diese behandeln nur ein paar wenige Themen, die dafür aber praxisnah ausgearbeitet sind und sich in einen Arbeitstag gut integrieren lassen. Virtuell werden kurze Lernhilfen verstärkt Einzug erhalten: Wenn ich in einer SAP-Anwendung, einem Excel-Dokument oder einem unternehmensinternen Vorgang nicht mehr weiterkomme, so wird mir direkt dort, wo ich Hilfe brauche, diese auch angeboten werden.
Und zwar nicht standardisiert „out of the box“ wie Karl Klammer im alten Microsoft Office Paket (ein Segen wer ihn nicht mehr kennt), sondern auf Unternehmensprozesse abgestimmt. Dieses Wissen kann nur intern vorhanden sein. Dass Arbeiten und Lernen keinen Widerspruch darstellen, zeigt auch das verstärkte Aufkommen von „Trainings on the Job“ oder „near the Job“. Das formale organisierte Lernen soll also stärker auch im Arbeitskontext stattfinden, um so einen höheren Transfer und mehr Nachhaltigkeit zu etablieren.
Man lernt dort, wo man tatsächlich auch arbeitet. Das zur Verfügung stellen von relevanten Lerninhalten wird aber gleichzeitig auch bedeuten, dass die Selbstverantwortung für die eigene Entwicklung und das eigene Lernen steigt. Betrachtet man aber alle diese Lernformate, so werden künftig Trainings mehr Umsetzbarkeit im Berufsalltag erreichen.
Training bleibt Programm
Andererseits werden lang angelegte, formale Trainingsprogramme nicht ihren Sinn verlieren. Einfache Themen werden Suchmaschinen, Kontexthilfen und das Internet beantworten. Jedoch einen Kompass zu geben, was man als Unternehmen möchte und zum Beispiel, welche Werte in einem Unternehmen gelten, das muss gelenkt werden. Denn alleine zu wissen, dass es viele Führungsmodelle gibt und wie sie funktionieren, beantwortet noch nicht die Frage, welches dieser Modelle auf eine Unternehmenskultur passt. Somit wird ein grundlegendes Führungsprogramm als Orientierung für eine Führungskraft wichtig und notwendig.
Jedoch werden individuelle Angebote zur eigenen Spezialisierung in der Zukunft wichtiger werden. Während theoretische Inhalte stärker digital werden, so ist die praktische und individuelle Anwendung etwas, was digitale Inhalte nur bedingt vermitteln können. Nicht umsonst ist der Coaching Markt beliebt, der sich den individuellen Herausforderungen von Menschen angenommen hat. Auch wird es durch die Demographie künftig immer stärkere individuelle Lernangebote geben müssen.
Bei vakanten Stellen wird es weniger Bewerber geben, die genau auf das ausgeschriebene Jobprofil passen. Das Entwickeln eines Mitarbeiters auf ein gesuchtes Stellenprofil hin wird künftig eine immer wichtigere Aufgabe sein. Wenn das Fundament aber einmal gelegt ist, werden kurze (digitale) Lerneinheiten und individuelle Lernlösungen, die man sich selbst aussucht, an Bedeutung gewinnen.
Lernen und Arbeiten gehören zusammen, und beides wird in Zukunft immer stärker vernetzt sein. Die getrennte Betrachtung von Lernen und Arbeiten ist nicht mehr zeitgemäß.
12568 mal gelesen
Hallo liebes Autorenteam,
habe gerade noch einige kleine Rechtschreibfehler und fehlender Interpunktionen festgestellt, falls Sie meinen Kommentar veröffentlichen würde es mich sehr freuen, wenn ich diese vorher korrigieren könnte (oder gerne können auch Sie dies für mich tun).
Ich bitte um Ihre Verständnis und Entgegenkommen.
Herzliche Grüße
Monika Koch
Liebes Autorenteam,
ein interessanter Artikel, vor allem, da er nicht nur auf die verschiedenen Lernformate eingeht, sondern auch das Lernen im Alltag beleuchtet, da in vielen ähnlichen Beiträgen aus meiner Wahrnehmung zu kurz kommt.
Eine besondere Beachtung ist nach meinerpersönlichen Erfahrung als Seminarteilnehmerin und heute als Trainerin dem Transfer vom Wissen zum Können zu geben. Wie Sie richtig betonen genügt nicht das Wissen von Führungsstilen, und hier möchte ich Ihren Beitrag ergänzen, es genügt auch nicht das Wissen, welches Modell in eine Unternehmenskultur passt, sondern es bedarf auch das Einüben und Ausprobieren von Führung und Führungsrollen in einem geschützten Umfeld z.B. in einem Workshop. Aus meiner Beobachtung kommt das eigentlichen Tun also das Umsetzen von Wissen in Können in vielen Führungskräftetrainings zu kurz. Menschen folgen Menschen. Daher sollte nach meiner Meinung auch das Führen und Folgen von und mit Menschen in praxisorientierten Workshops geübt werden. So können neue Handlungsmuster ausprobiert und entwickelt werden, die zu einer inneren und nachhaltigen Führungshaltung werden.
Danke für den Artikel.
Hallo Herr Spilker, sehe ich auch so. Frontbeschallung ist in der Tat eine Lehrmethode, die zwar ihre Berechtigung hat, aber einfach in vielen Fällen nicht mehr als alleinige Maßnahme zeitgemäß ist. Nur wenn eine Personalentwicklung nah an den Menschen und Ihren Herausforderungen im Unternehmen dran ist, kann sie wirklich was bewegen. Daraus formale Trainings abzuleiten kann richtig sein. Jedoch auch arbeitsplatznahe Lernformen (Mitarbeiter lehren für Mitarbeiter, on-the-job trainings, Floorwalking von Experten) werden an Einfluss gewinnen. Denn die „konkreten Cases“ sind wirklich das, wo wir Kollegen mit ihren Herausforderungen abholen und der Schwerpunkt von Breitenschulungen wird weniger werden. Als Startpunkt kann eine große Schulungsreihe stehen, der Transfer gelingt aber umso mehr, wenn man die letzten Hindernisse noch direkt vor Ort löst.
MOOCs sind hingegen etwas, worüber ich mir noch nicht sicher bin ob es ein Lernmedium der Zukunft ist. Zwar ist die Euphorie am Anfang sehr hoch, aber die Drop-Out-Quoten sind nach kurzer Zeit schon immer enorm ;-).
Im Bildungsbereich herrscht nach wie vor eine analoge Denkweise, die verhindert, dass neue Strukturen entstehen. Der Autor Andreas Wittke vergleicht hier die Email mit WhatsApp. Während die Email lediglich den klassischen Brief auf ein elektronisches Medium setzte, hat WhatsApp etwas komplett Neues geschaffen, ein digitales Kommunikationsangebot mit extrem hoher Usability, also Nutzerfreundlichkeit. MOOCs sind ein erster digitaler Schritt in der Bildung. Genau wie YouTube, OpenBadges und GSuite sieht Wittke darin eine Zwischenlösung, die allerdings immer noch vom „Präsenzgedanken“ gefangen ist. Blended Learning, also die Kombination zwischen Online und Präsenzlehre, vergleicht er mit den Hybrid Autos, die das Schlechteste beider Welten kombinieren und immer etwas mitschleppen (Tank oder Motor), was gerade nicht gebraucht wird. http://www.onlinebynature.com/2017/03/warum-e-learning-gescheitert-ist/
.
Liebe Autoren, vielen Dank für den inspirierenden Beitrag. Er wirft die wichtige Frage auf, wie auch Organsiationen lernen können, durch innovative Methoden Lernprozesse zu optimieren und ihre Mitarbeiter zum Lernen zu animieren. Ich teile die Einschätzung, dass die herkömmlichen Lern- und Lehrmethoden an ihre Grenzen gelangen. Digital aufbereitete Formate sind aber nur eine Facette. Leider zeigen auch unsere Erfahrungen und Recherchen oft, dass Corporate Learning immer noch auf die Frontal-Beschallung und Schulklassen-Format setzt: Jemand steht vorne und erklärt die Welt. Mitarbeiter werden damit nicht bei ihren Problemen und Cases abholt. Ein Gesprächspartner sagte einmal, dass es ihn an das alte Telekolleg erinnere und „oberlehrerhaft“ daher komme! Erfahrungen bei unseren Executive Trainings ( http://www.creating-corporate-cultures.org ) bestätigen vor allen Dingen den Mehrwert für Führungskräfte, wenn sie bei den konkreten Cases abholt und im Rahmen eines Peer-Group-Learning mit Vertretern aus unterschiedlichen Organisationen an Lösungen arbeiten können. Diese Form des Face-to-Face ist zumindest eine wertvolle Ergänzung, um die Selbstreflektion zu stärken, Eigeninitiative zu entwickeln und damit intensivere und nachhaltigere Lernerfolge zu erzielen. Deshalb braucht man am Ende ein „sowohl-als-auch“, Möglichkeiten zur Entwicklung von Lernkompetenz und eine Vielfalt an Angeboten.
Hallo Herr Spilker! Ihr Format ist in der Tat ein wichtiger Baustein, insbesondere beim Change Prozess hin zu einer „neuen“ Führungskultur in einem Unternehmen oder auch in einer gut gelebten offenen Lernkultur.