Unser Verständnis von Arbeit wurde durch die Industrialisierung geprägt. Nun müssen wir grundlegend umdenken, denn eine Fortschreibung bisheriger Vorstellungen, Konzepte und Strukturen führt in eine Sackgasse.

Wenn sich Kommunikationsformen ändern, dann wandelt sich das Fundament einer Gesellschaft. Kommunikations- und Koordinationstechniken bestimmen die Art und Weise, wie Menschen ihre Fähigkeiten verbinden und weiterentwickeln können, und damit auch die Formen und Gestaltungsspielräume menschlicher Arbeit. Die Art und Weise, wie Arbeit organisiert wird, bestimmt Lebensweisen, Konsum und Identitätsbildung in nahezu allen Gesellschaftssystemen.

Unsere heutige Definition von Arbeit als räumlich und zeitlich festgelegte, kontinuierlich abzuleistende Erwerbsarbeit bildete sich im Verlauf der Industrialisierung heraus. Diese Entwicklung begann schon mit der Erfindung des Buchdrucks, denn gedruckte Texte waren die ersten seriellen Produkte. Gutenbergs bewegliche Lettern revolutionierten nicht nur die Vervielfältigung und Verbreitung von Geistesprodukten. Diese frühe Informations- und Kommunikationstechnologie prägte über Jahrhunderte hinweg die Gesellschaft und damit auch die Arbeit in vielerlei Hinsicht fundamental.

Menschheit verlässt industrielle Sackgasse

Die computerbasierte Informationstechnik, die Michael Giesecke in seinem gleichnamigen Buch auch als „Buchdruck der Neuzeit“ (1991 im Suhrkamp Verlag erschienen) bezeichnete, hat nun ähnlich transformative Wirkungen wie seinerzeit Gutenbergs Erfindung – allerdings teilweise genau gegenteiliger Art. Denn nun können zunehmend mehr Tätigkeiten wieder von den Zwängen befreit werden, die die Industrialisierung mit sich brachte. Damit verlässt die Menschheit die industrielle Sackgasse der Zivilisationsentwicklung – also eine Gesellschaft, in der Menschen häufig nur wie Maschinenteile eingesetzt und oftmals kaum besser behandelt wurden.

Eine Schlüsselrolle bei diesem fundamentalen Wandel spielt das Internet. Aufgrund seiner Fähigkeit, die Beiträge vieler Menschen ohne die lähmenden Nebenwirkungen von Hierarchie und Bürokratie zu koordinieren, ermöglicht das Internet vollkommen neuartige Unternehmensmodelle, Wertschöpfungsprozesse und Arbeitsformen. Die erst im Verlauf der Industrialisierung entstandenen Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit, Arbeits- und Wohnort, Lernen und Arbeiten, Arbeit und Ruhestand, abhängiger und selbständiger Beschäftigung, Produzenten und Konsumenten sowie zwischen Betrieben und Branchen werden allmählich wieder aufgelöst. Arbeit zerfällt in vielfältige Formen und bezeichnet wieder das was man tut und nicht, wohin man geht.

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Eine alte Debatte mit immer neuen Vokabeln

Diskussionen über den Wandel in der Arbeitswelt als Folge des Computereinsatzes gibt es bereits seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Insbesondere Norbert Wiener lieferte mit seinem 1948 erschienenen Grundlagenwerk „Kybernetik“ viele Impulse für diese Debatte. Auch das Buch „Automation“ (1952), in dem John Diebold unter anderem die Wirkungen des Einsatzes vernetzter Computer in der Produktion prognostizierte, wurde seinerzeit weltweit aufgeregt erörtert. In den nachfolgenden Jahrzehnten rückte dieser Diskurs parallel zu bedeutsamen Entwicklungsschritten in der angewandten Informatik etwa alle zehn bis fünfzehn Jahre in konjunkturellen Wellen in das Blickfeld des öffentlichen Interesses. Umfangreiche Konferenzbände aus den 60er Jahren (siehe Abb.) belegen, dass seinerzeit insbesondere die IG Metall intensiv über das Für und Wider der Informationstechnik in der Arbeitswelt debattierte.

Die hier im Text eingestreuten Abbildungen von einigen Buch- und Zeitschriftentiteln aus unterschiedlichen Dekaden lassen dabei so manche Wiederholung erkennen – Buchtitel wie „Fabriken ohne Menschen“ (1957) wirken auch sechzig Jahre später merkwürdig vertraut und die Argumentationsfiguren, Behauptungen, Befürchtungen und Versprechungen, die seit mehr als einem halben Jahrhundert mit der Technisierung der Arbeitswelt einhergehen, variieren insgesamt erstaunlich wenig. Zahllose Studien, in denen von Zeit zu Zeit mehr oder weniger detailliert Arbeitsmarktwirkungen neuer Techniken berechnet und prognostiziert wurden, erwiesen sich im Nachhinein meist als ähnlich schlicht gestrickt und fragwürdig wie die in Intervallen, bisweilen auch vom prominenter Seite (so etwa Dahrendorf 1980, Rifkin 1995, Gorz 2000), wiederkehrenden Unkenrufe vom „Ende der Arbeit.“

Vokabeländerung

Was sich bei den einzelnen Diskussionswellen änderte, ist vor allem das Vokabular. Wie auch auf anderen Gebieten, so spiegeln auch in der Technikdebatte immer neue Wortschöpfungen oft mehr Modetrends als Rationalität wider. Der „Automation“ in den 50er Jahren folgte die „Rationalisierung“ in den 70ern und aus der „Informatisierung“ und „Computerisierung“ der 80er und 90er Jahre wurde die inzwischen allgegenwärtige „Digitalisierung“. Was noch in den 80er Jahren „computerunterstützte Arbeit“ hieß, wurde inzwischen zur „digitalen Arbeit“ oder zur „Arbeit 4.0“, ganz zu schweigen von der „New Work“ oder dem „Smart Working“, „Crowdworking“, „Clickworking“, „Cloudworking“ und „Coworking“, wie es heute die „Chief Innovation Evangelists“ (Stellenbezeichnung bei Google) für die „Gig-Economy“ propagieren.

Bei alledem lässt sich beobachten, dass die Aufgeblasenheit neuer Modevokabeln und Hypes fast durchweg mit Oberflächlichkeit in der inhaltlichen Diskussion korrespondiert. Offenkundig sind die unscharfen und allgegenwärtigen Buzzwords hinderlich beim tieferen Verständnis dessen, was tatsächlich geschieht – irgendwie ist heute einfach alles „4.0“ und „digital“. Dass unlängst ein Zeitschriftentitel auch schon mit der „Digitalisierung 4.0“ aufmachte, kann da kaum mehr verwundern.

Nimmt man den Begriff „digital“ in seiner ursprünglichen Bedeutung, so sind heute die weitaus meisten Wortkombinationen, in denen „digital“ als Adjektiv verwendet wird, wie etwa: „Digitale Gesellschaft“, „Digitale Arbeit“ oder „Digitaler Mensch“, schlichter Nonsens. Eine Studie von Peter Mertens, Gründervater der deutschen Wirtschaftsinformatik, listet im Jahr 2016 mehr als 1500 unterschiedliche Interpretation der Begriffe „Digital“ und „4.0“ auf. Durch ihre inflationäre Verwendung wurden die Schlagworte inzwischen weitgehend entwertet. Im deutschsprachigen Raum ist diese ärgerliche Entwicklung nicht zuletzt auch eine Folge der Tatsache, dass es für die im Englischen bedeutsame Unterscheidung zwischen „digitization“ und „digitalization“ in der deutschen Sprache keine Entsprechung gibt.

Disruption

Typisches Beispiel ist der auch Begriff „Disruption“, dessen ubiquitäre Verwendung inzwischen sehr zum Missfallen seines Schöpfers, Clayton M. Christensen, heute zumeist vor allem Unverständnis erkennen lässt. Liest man hingegen Christensen und einige andere Autoren und Arbeiten insbesondere aus den 90er Jahren im Original, so stellt man rasch fest, dass diese in der fundierten Analyse dessen, was heute „Digitale Transformation“ genannt wird, damals oft wesentlich weiter waren als die Mehrzahl unserer heutigen „Digitalexperten“. Wie auf anderen Gebieten auch, ist es deshalb durchaus lohnend, sich mehr den Ursprüngen und Arbeiten der Pioniere zu widmen, weil hier vieles nicht nur viel früher, sondern meist auch ungleich klarer, substanzreicher und verständlicher erläutert wurde als bei den Generationen der späteren Abschreiber und Schwurbler.

Fortsetzung folgt…

Die Teile 2 und 3 des Beitrags von Ulrich Klotz werden in den nächsten Wochen publiziert.

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