Die Klimakrise und die drohende Überschreitung planetarer Kipppunkte sind zweifellos die größten Herausforderungen unserer Zeit. Um Katastrophen und irreversible Folgen abzuwenden, bedarf es einer grundlegenden Umstellung unserer aktuellen Wirtschaftsweise. Produktion und Konsum müssen vom Verbrauch natürlicher Ressourcen sowie der Emission von Treibhausgasen umfassend und schnell entkoppelt werden, damit wir auch künftigen Generationen eine intakte Umwelt – und damit die Grundlage für Wohlstand und Entwicklung – hinterlassen können.
Eine vor diesem Hintergrund engagierte Wirtschafts- und Klimapolitik mit dem Versprechen, „Nachhaltigen Wohlstand für alle“ ermöglichen zu wollen, kann sich jedoch nicht allein am Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit orientieren. Vielmehr gilt es, mehrere wirtschaftspolitische Ziele miteinander in Einklang zu bringen.
So sollte die ökologische Transformation von vornherein mit dem Streben nach größtmöglichem, innerhalb der planetaren Grenzen erreichbarem, materiellem Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit verbunden werden.
Denn allein durch Verzicht auf den bereits erzielten Wohlstand und ohne eine faire Lastenverteilung in der Transformation wird der Wandel hin zu einer derart neuen Wirtschaftsweise kaum (rechtzeitig) die nötige gesellschaftliche Zustimmung finden.
Nur, wenn der notwendige strukturelle Wandel keine Massenarbeitslosigkeit verursacht und nicht durch fortwährend hohe Inflationsraten begleitet wird; nur, wenn klimapolitische Maßnahmen nicht auf Kosten der sozial schwächeren Bevölkerungsschichten gehen und nur, wenn deutsche Unternehmen auch mit alternativen Technologien und Produkten langfristig global konkurrenzfähig bleiben, werden sich breite gesellschaftliche Zustimmung und politischer Wille zur Umsetzung der ökologischen Transformation in der Kürze der verbleibenden Zeit sichern lassen. Wie schnell beides ins Wanken geraten kann, lässt sich überall auf der Welt auch und gerade durch den Einfluss verschiedener Krisen und Konflikte immer wieder beobachten.
Vielfältige Spannungsfelder und Zielkonflikte
Doch wie können wirtschaftspolitische Strategien und Maßnahmen wie die CO2-Bepreisung oder der Abbau klimaschädlicher Subventionen sozial gerecht vonstattengehen? Was müssen wir tun, um Wertschöpfung und Beschäftigung etwa in den deutschen Grundstoffindustrien auch langfristig erhalten zu können? Und wie kann dabei verhindert werden, dass die Staatsschulden oder die Inflation außer Kontrolle geraten?
Die Transformation hin zu einer klimaneutralen und ressourcenschonenden Wirtschaftsweise ist gekennzeichnet von vielfältigen Spannungsfeldern und Zielkonflikten zwischen dem Streben nach ökologischer Nachhaltigkeit und anderen Zielparametern einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft.
Unser Team im Schwerpunkt Economics of Transformation des neuen Projekts Nachhaltig Wirtschaften hat sich vorgenommen, in diesem Bereich mehr Verständnis für die ökonomischen Zusammenhänge hinter diesen Zielkonflikten zu schaffen. Mit Hilfe makroökonomischer Analysen und Simulationen wollen wir empirisches Steuerungswissen zu den komplexen volkswirtschaftlichen Wirkungszusammenhängen der Transformation bereitstellen. Es sollen Strategien und Instrumente für die deutsche Wirtschafts- und Klimapolitik entwickelt und Wege aufgezeigt werden, wie die verschiedenen Ziele einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft bestmöglich miteinander in Einklang gebracht und das Versprechen eines Nachhaltigen Wohlstands für alle eingelöst werden können.
Neues Buch als Debattenbeitrag
Als Grundstein unserer Arbeit haben wir ein neues Buch im Verlag Bertelsmann Stiftung veröffentlicht, das eine systematische Zusammenschau der Wechselbeziehungen zwischen den Zielen einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft liefert. Darin formulieren wir zunächst ein erweitertes Zielsystem für die deutsche Wirtschaftspolitik, orientiert an den Herausforderungen unserer Zeit. Darauf aufbauend nehmen wir theoretische und empirische makroökonomische Wirkungszusammenhänge der Transformation in den Blick und skizzieren politische Lösungsansätze für den Übergang in eine klimaneutrale Ökonomie.
Wie geht´s weiter?
Im Rahmen der Projektarbeit in den nächsten zwei Jahren werden wir ausgehend von unseren Überlegungen zu einem Zielsystem einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft die inhärenten Spannungsfelder zwischen der ökologischen Nachhaltigkeit und den anderen sechs Zielparametern beleuchten. In einer Reihe von Fokuspapieren werden wir ein zeitgemäßes Verständnis der jeweiligen Zielvorstellungen erarbeiten und theoretisches und empirisches Grundlagenwissen zu den Wechselwirkungen zusammentragen. Den Anfang haben wir bereits mit einem Fokuspaper zu einem neuen Verständnis des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts im Kontext ökologischer und geopolitischer Krisen gemacht.
Daneben wollen wir neues empirisches Steuerungswissen schaffen und so die Entwicklung passgenauer wirtschaftspolitischer Maßnahmenbündel unterstützen, die das gleichzeitige Erreichen mehrerer Ziele ermöglichen. Derzeit untersuchen wir zusammen mit der Prognos AG, wie die Dekarbonisierung der emissionsintensiven Grundstoffindustrien so gesteuert werden kann, dass Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland erhalten und Carbon Leakage verhindert werden kann. Für das kommende Jahr sind weitere größere Studien etwa zu den Potenzialen der Kreislaufwirtschaft und zum Abbau klimaschädlicher Subventionen geplant. Auch dabei wollen wir die Effekte klimapolitischer Maßnahmen auf möglichst viele Zielparameter quantifizieren, um daraus möglichst austarierte wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen abzuleiten.
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Ihr Beitrag widmet sich dem „Steuerungswissen für den Übergang in eine Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft“. Sie entfalten ein „Zielsystem“ und halten es in einem Schaubild fest. Warum der politisch-rechtliche Gesamtkontext, unser politisches System und dessen gewachsene Kultur (eben die soziale Marktwirtschaft), dabei explizit keine Erwähnung findet, gerade auch unter den aktuellen Vorzeichen multipler Krisenpnänomene und den manigfaltigen Steuerungsfragen dynamischer Systeme, ist zumindest erklärungsbedürftig.
Sie wollen „empirisches Steuerungswissen schaffen und so die Entwicklung passgenauer wirtschaftspolitischer Maßnahmenbündel“ fördern, dass wird m. E. nur im Diskurs mit der Zivilgesellschaft und dem Parlament gehen, dass den Rahmen verbindlich setzt oder?
Es geht um eine epochale Transformationsanstrenung (z.B. Klimaneutralität bis 2045, s. Klimagesetz), die langfristiges Handeln mit kurzfristigen Handlungserfodernissen verbindet. Wer entscheidet wie, worüber und in welchen politschen Arenen? Das ist meine Frage.
Und zu guter Letzt: Wie kann dies mit wem und mit welchen Instrumenten (legislaturübergreifend und unter dem Erhalt demokratischer Verfasstheit) – auch disruptiv – erreicht werden?