Was ist digitale Arbeit? Wie können sich Betriebe dahin verändern, dass sie von analog auf digital umstellen? Welche Bereiche eines Unternehmens betrifft es überhaupt, wenn man man “digital arbeiten” spricht?

Um Antworten auf diese Fragen – und alles, was damit zusammenhängt – zu finden, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits im letzten Jahr im Rahmen seiner Arbeiten 4.0-Initiative den Rahmen der Experimentierräume geschaffen.
Dabei sollen Betriebe die Erfahrungen zur ihrer eigenen digitalen Transformation teilen.

Vor diesem Hintergrund konnte auch ich mich zu den Experimentierräumen äußern – zu deren Funktion und vor allem zu der Verbindung mit dem Thema Vereinbarkeit 4.0.

 

 

Warum ist Mitarbeiterorientierung so wichtig?

Durch einen Post auf Twitter bin ich bei einer bereits älteren Studie von KPMG von 2009 gelandet. Es ging um die Kosten, die Betrieben durch innerbetriebliche Konflikte entstehen. Die Studie gibt den Betrieben eine Handreichung, um die entstehenden Kosten durch diese Konflikte für sich ermitteln zu können. Diese entstehen durch Fluktuation, Krankheit aber auch Schlechtleistung, die sich durch den Verlust von Kunden, Imageschäden und auch einfach die Verzögerung von Projekten ergeben. Aber auch fehlende Motivation spielt eine Rolle.

Wie motiviert sind deutsche Mitarbeiter?

Jedes Jahr seit 2001 wird im Gallup-Engagement Index geprüft, wie es denn um die Motivation der Mitarbeiter in Deutschland bestellt ist. Ich will es kurz machen: Schlecht. Und zwar von der ersten Befragung an bis zu der aktuellen. Es gibt kaum Schwankungen bei den Zahlen in den jeweiligen Kategorien der emotionalen Bindungen über die Jahre hinweg.

In den aktuellen Ergebnissen von 2016 sind es 70 % aller Mitarbeiter, die eine “geringe emotionale Bindung” zu ihrem Arbeitgeber haben. Es sind jeweils 15 % der Mitarbeiter, die eine emotionale Bindung haben – oder eben gar keine emotionale Bindung zum Arbeitgeber haben. Aber die Beschreibung “innere Kündigung” lässt nicht viel Raum für positive Aspekte: 80,3 bis 105,1 Milliarden Euro jährlich soll diese fehlende Motivation der Beschäftigten unsere Volkswirtschaft kosten!

Und gibt es diesen Megatrend “Digitalisierung”. Betriebe sind angehalten, sich zu transformieren, weil sie ansonsten der Anschluss verlieren und ihr Geschäft im schlimmsten Fall irrelevant wird. Zudem hinken wir in Deutschland der Digitalisierung hinterher, haben die Anfänge des Umbruchs verschlafen.

Das Geschäftsmodell muss also geändert werden, Roboter eingeführt und Tools zur effizienteren Arbeit genutzt werden. Künstliche Intelligenz hält Einzug, Algorithmen müssen programmiert und der Scrum-Master gemacht werden und all das in neuen Büro-Räumen mit den neuesten Devices.

Fundamentaler Change mit demotivierten Mitarbeitern?

Jetzt sollte der Blick noch einmal auf die jüngsten Zahlen von Gallup zwei Absätze weiter oben im Text zurückschweifen: WER bitte genau soll diese fundamentalen Changeprozesse von analog hin zu digital genau bewerkstelligen?

Man kann nur mutmaßen, dass es die restlichen 15 % sein müssen, die noch eine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben – also motiviert sind und sich aktiv einbringen. Von Personen, die Dienst nach Vorschrift machen oder sich mental abgewendet haben, wird eine solche große Aufgabe, die Engagement und Motivation von Seiten der Umsetzenden braucht, wohl nicht zu erwarten sein.

Wie realistisch ist es, dass Betriebe in diesem Zustand die Herausforderung bewältigen? Gar nicht – könnte die fatalistische Schlussfolgerung sein.

Aber: Es sind Durchschnittszahlen. Diese sind beängstigend – vor allem, weil sie über einen so langen Zeitraum so unglaublich stabil sind. Das bedeutet aber auch, dass es durchaus Betriebe geben mag, in denen nur ganz wenige Mitarbeiter die emotionale Abnabelung vollzogen haben. In denen viele Personen nicht nur bereit sind, sondern auch Lust haben, Veränderungen anzustoßen und die spannende Reise in eine neue Arbeitswelt nicht nur mitzumachen, sondern auch zu gestalten.

Familienfreundlichkeit als “role-model” für Change-Betriebe

Die Erfahrung aufgrund des Siegelprozesse zum Qualitätssiegel Familienfreundlicher Arbeitgeber – ein Zertifizierungsprozess der Bertelsmann Stiftung für Arbeitgeber – zeigt: Es sind diejenigen Betriebe, die ihre Mitarbeiter im Blick haben und deren Wohlergehen ihnen wichtig ist – weil ihnen bei ihnen die Menschen im Fokus stehen, die bessere Arbeitsergebnisse aufweisen können.

Es handelt sich um Betriebe, deren Unternehmenskultur eine des Gebens und Nehmens ist, in denen alle versuchen, im gemeinsamen Interesse an einem Strang zu ziehen. Die Rede ist von mitarbeiterorientierten und familienfreundlichen Betrieben.

Dort hat man die Haltung etabliert, dass eine Begegnung auf Augenhöhe und die Akzeptanz des Mitarbeiters als Mensch mit Gefühlen und einer schwankenden Leistungsfähigkeit im Gegensatz zu der beliebig austauschbaren “human ressource” im Interesse aller ist. Wer sich wohl- und angenommen sowie wertgeschätzt fühlt, wird sich gern jederzeit einbringen.

Von der Familienfreundlichkeit zur digitalen Transformation

Was hat das mit der Digitalisierung zu tun? Sehr viel: Die Haltung von Arbeitgebern bei digital arbeitenden Betrieben ist dieselbe wie bei mitarbeiterorientierten. Diese Haltung zeichnet sich vor allem durch Transparenz, fließende Kommunikation und partizipative Unternehmensentscheidungen im täglichen Unternehmensalltag aus.

Entscheidend ist der beständige Kontakt zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter, die eine anpassungsfähige Unternehmenskultur prägen und Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. Bildlich gesprochen sind es zwei Seiten einer Medaille: Wer seine Mitarbeiter kennt, weiß um deren privates Umfeld und kennt deren privaten Verpflichtungen, die so manches Mal einer Vereinbarkeit im Wege stehen.

Zudem kennt der Arbeitgeber dann auch die fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten seines Mitarbeiters über die Stellenbeschreibung hinaus und kann ihn so sein Potenzial voll entfalten lassen. Und dies ist unerlässlich, wenn ein Unternehmen überlegt, ob sein Geschäftsmodell überhaupt noch gebraucht wird oder ob man ein neues braucht, aber nicht weiß, wie dieses erkannt oder umgesetzt werden soll.

Es sind also nicht Tools für agiles Arbeiten oder Äußerlichkeiten wie Raumkonzepte, die helfen, diese großen Änderungen zu bewältigen. Es die Haltung, das Mindset, der Spirit, die darüber entscheiden, ob und wie schnell Unternehmen den Anschluss an die anstehenden Veränderungen bekommen. Dann werden die Tools und Raumkonzepte sowie neuen Methoden helfen, all das voranzutreiben.

Wie schwer kann es also sein, die Menschen in den Fokus zu nehmen? Wir nennen es Vereinbarkeit 4.0

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