Darauf deuteten zumindest indirekt die Titel sowohl einer aktuellen ZDF-Doku als auch eines Beitrags in der „Die Welt“ aus dem September 2020 hin. Damit wurde jeweils schon in den Überschriften für deutsche Leser und Zuschauer scheinbar ungeheuerliches unterstellt: 

Home Office sei im Grund genommen eine verkappte tägliche Auszeit und Strand und Arbeit ließen sich demnach nicht vereinbaren.

Urlaub statt Homeoffice?

Also sei doch anscheinend das Interesse am mobilen Arbeiten eher der Versuch, unter dem Corona-Deckmantel die Zahl der Urlaubstage zu erhöhen? Ähnliche Vermutungen wurden auch in den sozialen Medien in den Tagen nach Vorlage des Gesetzentwurfs (zur Ressortabstimmung) zum Recht auf mobile Arbeit durch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in den letzten Tagen geäußert. Ein weiteres Gegenargument verweist immer wieder darauf, dass Home Office nicht jedem möglich sei, dass die angestrebte Lösung zu starr sei und dass es sich sowieso um eine nicht adäquate Einmischung des Staates und Bevormundung durch die Politik handele. 

…das können wir so nicht stehen lassen!

Wir haben uns daher mit diesem kurzen Beitrag zur Debatte vorgenommen klarzustellen, dass es weder um Urlaub oder Freizeit geht noch um staatliche Bevormundung, sondern ganz einfach um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen von einigen Millionen Menschen in diesem Lande. Zudem sollten sich die Arbeitgeberverbände vor Augen führen: „Drei Viertel der Unternehmen weltweit wollen zunehmend ortsungebunden Arbeit anbieten“ (Quelle: Artikel „Home Office am Strand“, Die Welt, 25.9.) Der Kampf um Fachkräfte kann mit Sicherheit nicht mit einer Arbeitskultur gewonnen werden, die noch aus Zeiten der Schreibmaschinen stammt.

Studienlage zum Home Office in Deutschland ist eindeutig

Mit dem Status des Home Office sowie der Einstellung der Beschäftigten zu dieser Art des Arbeitens haben sich in den letzten Jahren viele Forschungsinstitutionen und Studien in Deutschland befasst.

Der auch von uns unterstützte Digitale Index der Initiative D21 stellte in der aktuellen Ausgabe diese Zahlen vor:

  • 30% der in Büros Beschäftigten nutzen bereits Home Office (gesamt 15%)
  • Nur 15% Derjenigen, die kein Home Office nutzen, haben daran grundsätzlich kein Interesse
  • 45% der so Arbeitenden sehen in der Möglichkeit des Home Office eine Steigerung ihrer Lebensqualität
  • Herausforderung: Schaffung der Voraussetzungen für regelkonforme Telearbeit, Unternehmenskultur
  • Nur 4% der in Teilzeit Arbeitenden mit Bürojobs bekommen die notwendige Infrastruktur für mobiles Arbeiten gestellt
  • Nur 11% der im Büro Tätigen können mit digitalen Kollaborationsplattformen arbeiten
  • Männer profitieren um den Faktor 2,2 häufiger von der IT-Infrastruktur als Frauen
  • „Digitalisierung“ wird zur Erreichung der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben eine sehr wichtige Rolle zugeschrieben
  •  66% der in Büros Erwerbstätigen haben großes Interesse an der Nutzung und Weiterentwicklung digitaler Werkezeuge
  • 46% sehen in der Nutzung digitaler Arbeitswerkzeuge eine Möglichkeit, sich die Arbeit selbständiger und effektiver einzuteilen 

Unsere eigene Studie zur Plattformarbeit stellte mit Blick auf die virtuell Arbeitenden fest: Es sind vor allem die Flexibilität und die Freiheit der eigenen Aufgabeneinteilung, die Menschen dazu bringt, virtuell miteinander zu arbeiten. Auch wird mobile Arbeit zum Zwecke der Zeitersparnis und Effizienzsteigerung geschätzt: 64 Prozent der Plattformarbeiter aber nur 24 Prozent aller Beschäftigten sehen hier einen Zusammenhang. Das zeigt: Umso digital kompetenter die Beschäftigten aufgestellt sind, desto eher sind Produktivitäts-steigerungen möglich.

Weitere Vorteile virtueller Arbeit auf Plattformen sind nach Auffassung und Erfahrung der dort Tätigen: Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, kollaboratives Erarbeiten von Lösungen und damit die Demokratisierung der Arbeit, mehr Selbstbestimmung, Steigerung der Produktivität und der Innovationsfähigkeit.

In Summe sind 59 Prozent der Plattformarbeiter „sehr“ oder „eher“ zufrieden mit dieser Form der Arbeit; nur 8 Prozent sind nicht zufrieden

In unserer Studie „Wie digital sind deutsche Unternehmen?“ haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie digital reif Beschäftigte ihre eigenen Unternehmen wahrnehmen. Auch im Zuge dieser Fragestellung ergeben sich einige erhellende Erkenntnisse zum mobilen Arbeiten:

  • Erwerbstätige in Deutschland sind digitalen Technologien gegenüber grund- sätzlich aufgeschlossen.
  • 65 Prozent empfinden ihre Kollegen und ihr konkretes Arbeitsumfeld als sehr offen.
  • Jedoch zeigt sich in der Auswertung ebenfalls: Das fehlende Angebot mobiler und flexibler Arbeitsweisen durch Unternehmen scheint ein Bremsblock für das Potenzial der Digitalisierung zu sein
  • 47% der Befragten sagen, dass in ihrem Unternehmen räumlich und zeitlich flexibles und mobiles Arbeiten (Homeoffice, virtuelle/standort- übergreifende Teams etc.) stattfinden würde.

Über alle Altersgruppen hinweg attestieren die Befragten in erstaunlicher Weise ihrem Arbeitsumfeld eine grundsätzliche Offenheit gegenüber der Digitalisierung. Beim Wunsch nach “digitalerem” Arbeiten und bei der Einschätzung des Potenzials und Nutzens der digitalen Transformation nimmt die Generation (unter 40 Jahren) eine deutlich forderndere und positivere Haltung ein als ältere Altersgruppen.

Das IAB stellt vor kurzem erst wieder fest:

  • Bei den unternehmensnahen Dienstleistungen, IT-, naturwissenschaftlichen Berufen und auch dem Handel liegt das Potenzial der im Home Office Arbeitenden bei bis zu 74%.
  • Wie auch in den anderen Studien betonen die Studienautoren auch in diesem Kontext wieder: Hauptproblem der Nutzung in allen Branchen sind technische und digital-infrastrukturelle Hürden.

Das Fraunhofer Fit hat ebenfalls Daten zum Home Office veröffentlicht:

  • Nach den ersten häufig mühsamen Wochen der Umstellung der Arbeitsorganisation im Corona-bedingten Home Office waren 90% der Beschäftigten und Führungskräfte mit dieser Form des Arbeitens zufrieden.
  •  Sowohl die individuelle wie auch (später) die Team-Performanz sind nach einer Umgewöhnungsphase höher gewesen als in Vor-Corona-Zeiten

Der Studienleiter stellt mit Blick auf die Zukunft fest:

„Für die Unternehmen gibt es keinen einfachen Weg zurück zu alten Büro-Routinen. Stattdessen müssen flexible Konzepte entwickelt werden, die die Anforderungen und Wünsche von Arbeitgebern und -nehmern gleichermaßen erfüllen“.

In einer Corona-Sonderstudie, die wir als Begleitumfrage zu unserer mit dem Münchner Kreis herausgegebenen KI-Zukunftsstudie herausgegeben haben, lassen wir Experten des mobilen digitalen Arbeitens zu Wort kommen. Wir fragten sie nach den erwarteten Änderungen oder Verstetigungen von neuen Arbeitsweisen, die sich speziell durch die Corona-Krise ergeben hatten bzw. ergeben könnten. Die Antworten sind eindeutig (s.a. Balkendiagramme): Die digitale Arbeitskultur hat Einzug gehalten und wird nicht einfach wieder verschwinden.

Corona-Sonderstudie 2020
Corona-Sonderstudie 2020

Warum ist Home Office sinnvoll?

Neben all diesen technischen Aspekten sowie persönlichen Einstellungen der Menschen, die mobil arbeiten können oder dies gern wollen, sind aber natürlich auch die ganz wesentlichen Implikationen und positiven Folgen des mobilen Arbeitens zu erwähnen. So hatte beispielsweise bereits im Jahre 1990 eine kalifornische Regierungskommission mit Blick auf die Implikationen des mobilen Arbeitens (ehedem: Telecommuting) gerade weitsichtig festgestellt: 

Remote Work, if it becomes widespread, can affect almost every aspect of contemporary life, from fundamental job patterns, to the physical structure of communities, to broad scale environmental changes such as global warming to global economic competitiveness. (Quelle: State of California Telecommuting Project, Final Report, June 1990)

Überträgt man diese Pionierarbeit dieser Kommission auf die Gegenwart, so ergeben sich schnell folgende konkrete Vorteile: 

  • Weniger CO2-Emissionen durch geringere Pendelaufwände. 
  • Weniger individuelle Mobilitätskosten und zugleich mehr Lebenszeit ohne Arbeit für die Beschäftigten. 
  • Weniger Fehltage, die ansonsten durch Betreuungsaufwände und andere private Herausforderungen zustande kämen. 
  • Verringerung der Immobilienkosten der Unternehmen durch weniger Bürofläche und geringere Nebenkosten des Betriebs dieser Büroflächen. 
  • In etlichen Studien nachgewiesen: Steigerung der Produkivität 
  • Geringere Lebenshaltungskosten der Beschäftigten in den Fällen, in denen in strukturschwachen Regionen von zuhause auch gearbeitet werden kann. 
  • Ländliche Regionen gewinnen an Attraktivität 
  • Größere Chance für Firmen in wenig attraktiven Lebensumfeldern, Fachkräfte an sich zu binden. 

Die Kommission stellte übrigens in diesem Bericht auch ganz klar fest, dass die Summe der Vorteile des mobilen Arbeitens die negativen Implikationen (vorübergehende IT-Kosten, Anpassung der Arbeitsorganisation) signifikant übersteigen würden. 

Offene Fragen

Eine erweiterte Möglichkeit zum Home Office, egal ob durch ein Gesetz bezüglich des Mindestumfangs garantiert oder durch die Tarifpartner vereinbart, muss sich aber auch den damit einhergehenden offenen Fragen der Umsetzung stellen: 

  1. Wie kann eine echte Gleichbehandlung von Menschen im Home Office und Menschen im Büro erreicht werden? Dies betrifft vor allem schwer messbarer Aspekte wie den Einfluss der Wahl des Arbeitsortes auf die Möglichkeit der beruflichen Weiterentwicklung. 
  2. Ist Home Office nicht faktisch eine Dimension der mobilen Arbeit? Ist es auch zukünftig nötig, die strengeren Vorschriften zur Telearbeit anzuwenden oder sollte nicht eine Gleichstellung der Anforderungen an beide Formen des Arbeitens im Sinne der mobilen Arbeit erfolgen? 
  3. Wie können die Anforderungen an den Arbeitgeber, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu kontrollieren, mit der zunehmenden Eigenverantwortung der mobil Arbeitenden in Einklang gebracht werden? Die sich seit Jahren andeutende Umstellung von der Zeit- auf die aussagekräftigere Ergebniserfassung sollte hierbei nicht vergessen werden. 
  4. Die geeignete offene Unternehmenskultur und eine ausreichende technische Ausstattung sind die Grundvoraussetzungen (s.a. auch unsere Studie) für eine erfolgreiche betriebliche digitale Transformation. Wie können Führungskräfte besser in Verantwortung für die Erreichung dieser optimalen Rahmenbedingungen genommen werden? 
  5. Das flächige eigenverantwortliche Arbeiten kann auf Dauer nicht ohne eine Hinterfragung der formalen Hierarchielogiken in Unternehmen auskommen. Formale und faktische (Entscheidungs-) Verantwortlichkeiten driften immer weiter auseinander. Wie soll darauf langfristig rechtlich reagiert werden? 
  6. Die weitreichende Einrichtung von Home Office-Kapazitäten muss gesetzlich, durch Betriebsvereinbarungen, durch Unternehmenskulturen und IT unterstützt werden. Nicht zuletzt das ganz pragmatische Umsetzen im Alltag muss aber noch erlernt werden. Hierzu gehören Fortbildungen und Peer to Peer-Beratungen in den Unternehmen bezüglich der Beantwortung folgender Fragen: Wie gehen die Beschäftigten und der Arbeitgeber mit der Umstellung auf asynchrone Kommunikation um? Entsprechen die Plattformen für die externe Speicherung von Daten oder zur Nutzung zwecks Video-Konferenzen den jeweiligen nationalen Gesetzen und den internen Richtlinien? Wo sollten Richtlinien der Realität angepasst werden? Wie kann Kreativität auch in digitaler Form stattfinden? Wie verändert sich Führung durch digitales Arbeiten? 

Rahmenbedingungen der Schaffung einer neuen mobilen Arbeitskultur

Grundsätzlich und unabhängig von diesem konkreten Gesetzesentwurf gilt, dass wir die Akzeptanz der Diversität der Arbeitsmittel, -methoden, -weisen und -abläufe in die Nach-Corona-Zeit hinüberretten (Corona-Sonderstudiemüssen. Es gilt nicht die eine Arbeitsweise, die für alle Beschäftigten immer gültig und optimal ist. Arbeitgeber müssen lernen, die Diversität und individuellen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten anzuerkennen und dies in eine Steigerung der Produktivität umzuwandeln.  

 Die Gleichbehandlung aller Beschäftigten im Zuge der Digitalisierung der Arbeitsweise bedeutet nicht automatisch dieselben Handlungsmöglichkeiten (Kompetenzen). Arbeitgeber müssen sich mit den Tarifpartnern überlegen, wie sie mit der immer stärker zutage tretenden Divergenz der Produktivitäten der digital Kompetenten und der digital Abseitsstehenden umgehen wollen. Die derzeit durch Millionen von Beschäftigten gemachten ersten Erfahrungen mit konsequentem Home Office offenbaren schonungslos diese digitale Kompetenzdefizite. Konflikte sind absehbar. 

Es könnte sein, dass Unternehmensleitungen ungewollt die Corona-bedingten Probleme verstärken, da sie nicht erahnen, wieviel Arbeit und Dienstleistungen tatsächlich digital leistbar sind.

Es besteht die Gefahr, dass digital averse Führungskräfte technische Probleme argumentativ nutzen, um sich nach Corona gegen mobile Arbeit auszusprechen und die Potenziale der Weiterentwicklung der Arbeitsorganisation, wenn nicht gar des Geschäftsmodells verpassen. 

Gegenargumente

Die in den letzten Tagen in den sozialen Medien geäußerten Kritikpunkte an dem jetzt vorgelegten Versuch, wenigstens einen kleinen Umfang an Home Office für die Millionen Menschen, in deren Arbeitsumfeld dies grundsätzlich machbar wäre, sind bisher empirisch nicht validiert. 

  1. Die wichtigsten vorliegenden Studien (u.a. s.o.) zeigen, dass die Produktivität mit Einführung mobiler und damit selbstbestimmter Arbeit tendenziell steigt. Die Produktivität wird negativ nur durch schlechte IT-Ausstattung, kontrollorientierte Führungskräfte und unsichere Beschäftigte beeinflusst. Alle diese Punkte könnten durch ein geeignetes Management ins Positive gedreht werden.
  2. Die gesetzliche Regelung ist keine abzulehnende staatliche „Einmischung“. Auch hier zeigen die oben genannten Studien, dass man mit der Mindestvorschrift einem Wunsch von Millionen von Beschäftigten nachkommen wird und Unternehmen bzw. Arbeitgeber haben es bisher in der Fläche nicht vermocht, ohne staatliche Anreize (oder Druck) Regelungen zum Home Office im Sinne der Beschäftigten umzusetzen.
  3. Auch das vermeintliche Kostenargument ist keines. Durch eine begleitende Dezentralisierung der IT-Verwaltung kann im Gegenteil durch einen CYOD-Ansatz Kosten gespart werden. Man müsste den Beschäftigten einfach nur zutrauen, dass sie ihren eigenen PC bedienen wollen und können. Schließlich fallen teure Büro-Mieten und der Unterhalt dieser Büroräume weg.  

Beschäftigte sollten angesichts der empirischen Lage selbstbewusster eigenständiges Arbeiten einfordern. Home Office ist keine Form eines „Sonderurlaubs“, so wie es aktuell von Kritikern der angedachten Regelung gern medial assoziiert wird. Sie sollten nur darauf achten, dass sie als Beschäftigte perspektivisch auch von der Home Office-Dividende profitieren.

Eine erstklassige IT-Ausstattung und entsprechende Kommunikationsmittel auf der Höhe der Zeit kosten deutlich weniger als ein Büro in einem Arbeitsjahr. 

Ausblick

Der Gesetzesentwurf war bis zur Veröffentlichung des Artikels noch nicht einsehbar. Die einzelnen Regelungen sind mitgeteilt worden – womöglich auch, um in der nun stattfindenden Diskussion Hinweise darauf zu finden, welche konkrete Regelung für alle Beteiligten am ehesten akzeptabel sein könnte. In der Diskussion geht der Entwurf vielen auch nicht weit genug und es wird kritisiert, dass durch die Beschränkung auf 24 Tage die fälschliche Sichtweise auf weiteren “Sonderurlaub” weiter gestärkt sei. Auch die Frage der Arbeitszeitdokumentation ist sicher noch nicht befriedigend gelöst. Klar ist aber auch: Der aktuelle Status quo, nämlich die für Unternehmen (gerade KMU’s) unverständliche Aufsplittung in mobile Arbeit und Homeoffice (Telearbeit) mit den unterschiedlichen Anforderungen (s. Ausführlich dazu den rechtlichen Leitfaden) ist unbefriedigend und praxisfern. Eine Rückkehr zum “alten Normal” wird es nicht geben. Die Mitarbeiter wünschen eine Änderung. Dem trägt man mit dem ersten Aufschlag zu einem Recht auf mobile Arbeit Rechnung. Je konstruktiver die Diskussion nun ist, desto eher gestalten wir die Möglichkeiten und heben Potenziale. Bessere, weitergehende Regelungen sind immer möglich.  

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