Die doppelte Transformation liegt nicht in Verantwortung der Bürger:innen
Auch dieses und letztes Jahr haben wir erneut den Digital Index der Initiative D21 als Bertelsmann Stiftung unterstützt. Wir haben uns dabei inhaltlich auf das Kapitel zum Wechselspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit konzentriert. Methodisch gab es beim diesmaligen Index eine Anpassung dahingehend, dass die Befragung der Bevölkerung durch eine Expertenbefragung zwecks besserer Einordnung ergänzt wurde.
Die Befragung der Bevölkerung und der Experten hat zu folgenden Kernergebnissen geführt:
- Der Bevölkerung kann nicht die Verantwortung für das Gelingen der doppelten Transformation (Digitalisierung und Nachhaltigkeit) übertragen werden. Es fehlt den Menschen ganz einfach an Fachwissen und Transparenz über und zu den Wechselwirkungen zwischen beiden Arten der Transformation.
- Die Digitalisierung allein kann den Klimawandel nicht verhindern; sie liefert aber eine, wenn nicht die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir das Klima schützen können.
- Die Wirtschaft muss sich gegenüber der Wissenschaft mehr öffnen und die dort entwickelten Technologien für mehr betriebliche Innovationen einsetzen.
Die Wechselwirkung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit hat die anderen 3 Themenkapitel ergänzt: Resilienz im digitalen Wandel, Zusammenhalt und Demokrazie sowie Digitale Wertschöpfung“. Auch in diesem Durchgang wurden erneut fast 30.000 Menschen über 14 Jahren befragt. Davon waren 18.000 Interviews persönlich durchgeführte Interviews.
Die Ergebnisse zur doppelten Transformation im Einzelnen
Welches Potenzial sich hinter der doppelten Transformation verbirgt, verdeutlicht der folgenden Hinweis einer der befragten Experten: „Durch autonomes Fahren könnten nur noch 10 Prozent der bisherigen Fahrzeuge benötigt werden.“ Die Frage stellt sich, wieso dieses Potenzial bisher in weiten Teilen der Wirtschaft nicht abgerufen wird. 5 der 17 sogenannten Nachhaltigkeitsziele (SDG), die mit dem Energiesektor, der Industrie, der Infrastruktur, der Stadtplanung, dem Klimaschutz sowie dem Konsum und der Produktion verbunden sind, könnten mit der Digitalisierung adressiert werden. Warum gehen wir diese Handlungsmöglichkeiten als Gesellschaft nicht offensiver an?
Vielleicht liegt es an der bisher schwer zu identifizierenden Netto-Wirkung der Digitalisierung auf die Umwelt? Vielleicht liegt es an der fehlenden Transparenz der Nachhaltigkeitswirkung von Konsumentscheidungen? Die Zahlen des Indizes scheinen jeweils darauf hinzudeuten. Jeder zweite Befragte gibt an, dass ihm Informationen für eine nachhaltige Kaufentscheidung fehlen.
Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit nutzen – was ist möglich?
Digitale Werkzeuge ermöglichen bereits heute schon weitreichende Veränderungen der Produktionsweisen, die das Klima schonen:
- Ressourcen können sparsamer eingesetzt werden (Energiesteuerung in Gebäuden)
- Produktionsprozesse laufen effizienter ab
- digitale Zwillinge ermöglichen ressourcenschonende Planungen
- Instandhaltung kann effizienter garantiert werden
- Wertstoffkreisläufe können aufgebaut werden
- Energie kann planbarer eingesetzt werden
- neue Geschäftsmodelle (z.B. in der Landwirtschaft) ermöglichen das Sharing von (landwirtschaftlichen) Geräten und Konsumprodukten (Autos)
- Arbeitsweisen (Videokonferenzen statt Vor-Ort-Arbeit) können Emissionen direkt reduzieren
Schließlich hat das Monitoring von Treibhausgas-Emissionen und Materialflüssen weitreichende Folgen für die Zuschreibung von negativen Verantwortlichkeiten und korrekten Preisen der Umweltschädigung.
Gleichzeitig sind Bürger:innen aber bezüglich der Einschätzung der Netto-Wirkung der Digitalisierung indifferent. Jeweils ca. 1/3 der Befragten schreiben der Digitalisierung einerseits negative und andererseits positive Auswirkungen auf die Umwelt zu.
Dies erstaunt, da doch das mediale Narrativ sehr stark von der negativen Interpretation der Digitalisierung in ihrer Wirkung auf die Nachhaltigkeit geprägt ist: Streaming, wie es bei Videokonferenzen genutzt wird, sei für einen hohen Strombedarf verantwortlich, Elektroschrott belaste die Umwelt, der Bedarf an Hardware führe zu einer großen Nachfrage nach seltenen Erden, die teils unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut würde.
All dies ist richtig. Jedoch gelte dies natürlich auch für alle anderen Sektoren der Wirtschaft wie der Landwirtschaft, der Mode- oder der Baubranche, so einer der interviewten Experten.
Wie kann die doppelte Transformation vorangebracht werden?
Da den Bürger:innen infolge der Komplexität der Wechselwirkungen beider Trends sowie mangelhafter Informationslage mit Blick auf das Maß der Umweltschädlichkeit von Produkten nicht die Verantwortung zugeschrieben werden kann, stellen andere Stellhebel geeignetere Ansatzpunkte dar: Politische Anreize, Förderprogramme, Investitionen in Forschung, Selbstverpflichtungen der Industrie und politische Regulierungen liegen nach Vorstellungen der befragten Bürger:innen in ihrer Bedeutung nahezu gleichauf.
Hinzu kommt aus Sicht der Expert:innen ein besseres Zusammenspiel von Forschung und Wirtschaft. Dass Deutschland mit diesem Zusammenspiel seit langem ein problem hat, ist grundsätzlich nicht neu, verschärft aber beim Thema Nachhaltigkeit unnötig den Anpassungsdruck der Wirtschaft im internationalen Wettbewerb.
Die befragten Expert:innen schlagen daher eine Anpassung der politischen Regulierungen vor. Einerseits können gezielte Investitionen, wie es der US Inflation Reduction Act vorsieht, getätigt werden. Zugleich müssen politische Regulierungen im Sinne von „Spielregeln für alle“ eine klare Zielvorgabe für die Unternehmen ermöglichen. Pauschale Offenheit bringt Wirtschaft an der Stelle nicht weiter, da sie keine Orientierung bietet. Andererseits muss Bürokratie abgebaut werden.
Die Ergebnisse des Index sind insgesamt weitaus komplexer und können hier abgerufen werden. Das Team von D21 hat es aber wieder geschafft, all die Komplexität sehr gut strukturiert darzustellen und die Kommunikation der Ergebnisse mit unter CC-Lizenz nutzbaren Graphiken zu unterstützen.
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