Dass ohne die Kompetenz, digitale Werkzeuge bei der Arbeit zu nutzen, heutzutage nur noch schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt (in allen Qualifikationsstufen) bestehen, ist inzwischen wahrscheinlich selbst den meisten Kulturpessimisten aufgefallen. Es wird eigentlich nur noch darüber gestritten, in welchem Umfang die Digitalisierung in die einzelnen Berufe Einzug hält (Nein, ich verlinke hier jetzt nicht auf die Osborne-Studie).
Umso wichtiger sollte es ja eigentlich auch sein, dass wir dem Nachwuchs Kenntnisse für das Arbeiten im Netz und mit dem Netz vermitteln, damit diese später auf einem globalisierten Arbeitsmarkt die entsprechenden Chancen haben werden, sich gegen Wettbewerber aus den USA und Asien durchzusetzen.
Sonderstudie der Initiative D21 zum digitalen Bildungsindex
Im Zuge des gerade veröffentlichten D21 Digital Indizes haben wir uns auch an einer Sonderstudie der Initiative D21 zum digitalen Bildungsindex beteiligt. Die Studie hat sich mit den verschiedenen Kontexten befasst, innerhalb derer Schüler, Lehrer und Eltern sowohl mit Digitalisierung als auch mit Bildung in Kontakt kommen. Dabei ist bei der Analyse der Zahlen zu beachten, dass bezüglich der Lehrer von Lehrwelten, bezüglich der Eltern von Lernwelten und mit Blick auf die Schüler von Lebenswelten gesprochen wird. Nur wenn alle drei Welten Schnittmengen aufweisen – erforderliche digitale Strukturen sind an den Schulen vorhanden, Lehrkräfte sind pädagogisch in der Lage, Bildung digital zu vermitteln und das Curriculum berücksichtigt digitale Bildung – kann eine Digitalisierung des Unterrichts und der Schulen erfolgreich sein.
Konkret und mit Blick auf die empirisch vorgefundenen Ist-Zustände an deutschen Schulen: Lehrer besitzen gegenüber den Schülern einen Kompetenzvorsprung, wenn es darum geht, an Einzelplatzrechnern ab und an mit dem Netz zu arbeiten. Am Ende aber landen diese Ergebnisse dann eher in Word- und Powerpoint-Folien und Texten, die im Unterricht vorgetragen werden. Wenn es aber um das zeitgemäße Arbeiten im Netz geht, liegen die Kompetenzwerte der Schüler stets weit vor denen der Lehrer. Die Studie stellt hier zu fest: „Eine ganzheitliche digitale Bildung vereint dabei das Lernen mit und über digitale Medien„.
kollaboratives und interaktives Arbeiten im Netz
Die Frage ist also, ob es nicht längst zu spät dafür ist, Lehrer als geeignete Lehrpersonen für das kollaborative und interaktive Arbeiten im Netz anzusehen? Haben wir in Deutschland längst die Chance vertan, den Schülern beim Gang ins Netz zu helfen?
Die Studie befasste sich mit der Frage: Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Lehr- und Lernumgebungen auf den Digitalisierungsgrad von Schülern, Lehrern und Eltern? Hierfür wurden jeweils über 1.000 Lehrer, Schüler und Eltern in den Themenbereichen Offenheit, Zugang, Kompetenz und Nutzungsvielfalt befragt.
Schüler besitzen bezüglich des regelmäßigen Internetzugangs mit 92% den höchsten Zugangswert aller gemessenen Bevölkerungsgruppen und liegen damit auch vor Lehrern und Eltern. Der Wert für die Gesamtbevölkerung liegt bei gerade einmal 79%. Dieser Zugang erfolgt v.a. im Gegensatz zu den Älteren über mobile Endgeräte.
Wenn das Internet durch die Schüler genutzt wird, geht es v.a. um soziale Medien, Computerspiele und Videonutzung. Dies steht im Gegensatz zur Nutzung des Netzes auf Seiten der Lehrer, die das Netz vor allem produktiv nutzen (Cloud, Textverarbeitung und Suchfunktion für die Schultätigkeit)
Einzelplatzbezogene Tätigkeiten
Spannend ist, dass die Lehrer im Bereich klassischer einzelplatzbezogener Tätigkeiten (Präsentation erstellen, Drucker installieren, Textbearbeitung nutzen) stets vor den Schülern liegen. Wenn es jedoch darum geht, Inhalte in den sozialen Medien oder auf Webseiten einzustellen, wenn es also um kollabortaive und kommunikative Tätigkeiten geht, liegen die Schüler stets vor den Lehrern (und den Eltern). D.h. dass zukunftsgerichtete Kenntnisse des Arbeitens im Netz von den Schülern stets besser beherrscht werden als von den Lehrkräften, die ihnen da eigentlich beibringen sollen. Problem dabei bisher: Den Schülern wird weder durch Lehrer noch Eltern gezeigt, wie sie ihre Fähigkeiten produktiver nutzen können.
Denn Schüler nutzen soziale Medien und Videportale deutlich häufiger für die Unterrichtsvorbereitung (47% und 59%) als Lehrer (11% und 37%). Besonders eklatant ist der Unterschied im Bereich kommunikativer Plattformen wie beispielsweise WhatsApp. Schüler nutzen diese zu 68%, Lehrer nur zu 16%.
Dass das Internet Möglichkeiten bietet, beruflich/ beim Lernen flexibler zu sein, meinen 78% der Schüler aber nur 58% der Lehrer. Auch die Wichtigkeit von Programmierkenntnissen wird von den Schülern deutlich wichtiger eingeschätzt als von den Lehrern.
Obgleich also die Schüler beim Arbeiten im Netz grundsätzlich deutlich kompetenter sind als die Lehrkräfte, ist der Anteil der Versorgung mit Geräten im Unterricht bei den Lehrern bis um den Faktor 3 höher als bei den Schülern (Laptop: Lehrer 53%, Schüler 20%). Wenn es um Smartphones geht, dreht sich das Verhältnis um. 8% der Schüler nutzen im Unterricht ein Smartphone, aber nur 2% der Lehrer.
Nur jedem 50zigsten Schüler steht aber ein durch die Schule zur Verfügung gestellter Laptop zur Verfügung. Dafür kann über die Hälfte der Schüler regelmäßig einen Overheadprojektor-Projektor im Unterricht nutzen. Der allerdings hat in der Regel keinen Internetanschluss (kleiner Scherz am Rande).
Angeblich vorhandene Infrastruktur
Nach wir vor dürfen 1/3 der Schüler explizit keine eigenen Geräte für den Unterricht nutzen. Gibt es entsprechende Infrastruktur an der Schule zur gemeinschaftlichen Nutzung von Inhalten, so scheint es eine mangelnde Information der Schüler durch die Lehrer zu geben; die Kenntnis über diese angeblich vorhandene Infrastruktur ist bei allen technischen Mitteln bei den Schülern geringer als bei den Lehrern
Die Hälfte aller Lehrer (49%) nutzt keinerlei Form der beruflichen Weiterbildung zum Arbeiten im Netz. Die Frage, inwiefern die Schulleitung auf die Notwendigkeit der digitalen Kompetenz reagieret, wird von Schülern und Lehrern sehr unterschiedlich beurteilt. 42% der Lehrer sprechen von einem Medienkonzept an ihrer Schule; aber nur 24% der Schüler können das bestätigen. Hier scheint es einen Widerspruch zwischen Anspruch und Umsetzung zu geben.
So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass jeder vierte Lehrer mit seinen Schülern überhaupt nicht digital kommuniziert. 62% der Lehrer beklagen die fehlende digitale Kompetenz ihrer Kollegen. 88% der Eltern sind der Meinung, dass digitale Kompetenzen heute auf dem Arbeitsmarkt unabdingbar sind.
Besonders auffällig:
Schulen, die sich selbst als digitale Pilotschulen begreifen, schneiden in allen Bereichen deutlich besser ab als „normale“ Schulen. Dies stellt einen interessanten Handlungsansatz für Schulleitungen dar, die den digitalen Pfad beschreiten wollen. Bei den Schulen, die ein Medienkonzept erarbeitet haben und dies nach außen hin aktiv kommunizieren, steigen die Fortbildungsquote, die Ausstattungsquoten und die Integration der digitalen Werkzeuge in den Unterricht.
Dem Bekenntnis zur digitalen Transformation folgen dann also auch meist Taten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es an den „nicht-digitalen“ Schulen viele engagierte Lehrer gibt, die nur darauf warten, die Erkenntnisse der digitalen Vorreiter auch bei sich an der eigenen Schule nutzen zu können. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese engagierten Lehrer die notwendige Rückendeckung beim Betreten neuer Pfade durch die Schulleitung bekommen.
Was kann mit Blick auf die Zukunft der Arbeit dann nur die Empfehlung an die Eltern sein, deren Kinder nicht die digitalen Pilotschulen besuchen? Vielleicht etwas überspitzt formuliert: Setzen Sie sich ab und an gemeinsam mit Ihren Kindern vor die PCs oder Smartphones, um sich von den Kindern Kenntnisse in der Kollaboration und Kommunikation beibringen zu lassen. Umgekehrt sollten Sie Ihre Kinder bezüglich des Umgangs mit den möglichen Risiken des Netzes informieren. Warten Sie aber keinesfalls auf einen möglichen ganzheitlichen, integrierten und nachhaltigen politischen Plan zur Digitalisierung Ihrer Schule. Bis dahin sind Ihre Kinder längst der Schule entwachsen.
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