Mit multiplen Krisen leben lernen

Das Jahr 2022 war geprägt durch die Gleichzeitigkeit mehrerer globaler Krisen: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen, die steigenden Preise, die auch ein Zeichen der Fragilität unseres globalen Handelssystems sind, den Klimawandel (der seltsamer Weise noch immer nicht gestoppt ist; #IronieOff), den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und den damit einhergehenden weltweiten Ernährungs- und Energiekrisen.

Und immer noch besteht in weiten Teilen der Gesellschaft inklusive der Politik die Hoffnung, dass wir eines Tages aus diesem Traum aufwachen und diese Krisen mit den politischen Instrumenten bewältigt worden sind, die uns ja auch schon in den letzten Jahrzehnten immer wieder geholfen haben. Psychologen haben diesen gesellschaftlichen Verdrängungseffekt inzwischen angefangen, intensiv zu analysieren. Es ist die Erfahrung einer absolut existenziellen Krisenvielfalt, die uns auf der individuellen Ebene dazu bringt, an empiriefreien „Lebenswahrheiten“ als Leitmotiv persönlichen Handelns festzuhalten, um sich seiner selbst zu vergewissern. Statt ein „Weiter so“ wäre aber ein proaktives Angehen dieser Krisen notwendig.

Wir sind es heutzutage in einer Welt der „KPI“ und Bilanzierungen, der Vorstellungen eines Managements, Komplexität steuern zu können, in einer Zeit, in der es für jedes Problem eine eigene App auf dem Smartphone gibt, nicht mehr gewohnt, mit der Nicht-Bewältigung einer komplexen Problemlage umzugehen. Wie sollen wir also mit all diesen Krisen umgehen? Mit der sogenannten Poly-Krise beschäftigen sich inzwischen Expertinnen aus der Wissenschaft. Sie stehen aber erst am Beginn eines Verständnisses der Wirkungszusammenhänge dieser komplexen Zustände.

„Greed and power structures undoubtedly worsen the polycrisis, but our knowledge remains poor. Experts know a lot about individual risks and crises, but not how they interact.“

Vielleicht sollte stärker Heraklits „Panta rhei“ als übergeordnete Handlungsmaxime herangezogen werden. Alternativ können wir uns auch auf Goethe beziehen, der im Gedicht „Eins und alles“ schrieb:

„Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar stehts Momente still.
Das Ewige regt sich fort in allen:
Denn alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will.“

Seit Jahren bilden die Systemtheoretiker und Organsationsentwickler Führungskräfte und Entscheiderinnen darin aus, mit dieser Komplexität umzugehen. Seit ebenso langer Zeit wissen Konsumenten um die Nicht-Nachhaltigkeit eines großen Teils des täglichen Konsums. Und trotzdem wird auch dieses Jahr ein neuer Peak der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, von der wir alle lebensabhängig sind, erreicht. Trotzdem messen die Meteorologen seit Jahren immer neue Temperaturrekorde (Aktuell in Grönland und Alaska). Trotzdem befindet sich seit Jahren das Unternehmen Saudi Aramco unter den Top 3 der „wertvollsten“ Unternehmen weltweit; ein Unternehmen, dessen Produkt unsere Lebensgrundlage zerstört.

Wahrgenommmen werden diese multiplen und interdependenten globalen Krisen auch bei und durch die Transformationen auf Ebene der Unternehmen und Betriebe, die die stärkere Digitalisierung und Nachhaltigkeit zum Ziel haben (einen aktuellen spannenden Beitrag über das notwendige Umdenken in den Unternehmen gibt es bei der New York Times zu lesen). Auch wir selbst haben das Jahr damit verbracht, eine geeignete Projektstruktur und Organisationsform für die Adressierung dieser interdependenten Themen zu finden.

Unsere Ideen für 2023

Wir werden uns daher im nächsten Jahr einerseits mit der Entwicklung des Nachhaltigkeits-Diskurses in Deutschland und der Welt befassen. Basierend auf den öffentlich zugänglichen Daten ausgewählter sozialer Medien und Pressetexte und der Interpretation dieser Daten durch Künstliche Intelligenz und menschlicher Expertinnen werden wir ein Themen- und Akteurs-Mapping erstellen. Dieses Mapping soll als empirisch valide Grundlage für die Erarbeitung eines Narrativs der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft dienen. Aus unserer Sicht ist es das Fehlen eines solchen Nachhaltigkeits-Narrativs, das entscheidend zur Spaltung von Teilen der Gesellschaft und der Nicht-Aktivität politischer und wirtschaftlicher Entscheider führt. Damit möchten wir einen Ausweg aus der politischen Sackgasse der Nachhaltigkeits-Debatte anbieten.

Andererseits werden wir uns aber auch dezidiert der Messung der Auswirkung unternehmerischer Tätigkeit auf Gesellschaft und Umwelt widmen.

So werden wir mittels des „Sustainability Transformation Monitors“ werden wir ab nächstem Jahr den Brückenschlag zwischen Sustainable Finance und Nachhaltigkeitsmanagement wagen. Denn es bedarf großer Investitionen in Geschäftsmodelle und Unternehmen, um die Transformation zu finanzieren. Gleichzeitig steht das Nachhaltigkeitsmanagement von Unternehmen vor großen Veränderungen und (regulativen) Herausforderungen – wie die Treiber und Hemmnisse aussehen und wo es Unsicherheiten und Trends gibt, wollen wir transparent machen. Wie können rein auf monetäre Wertschöpfung ausgelegte Wertschöpfungslogiken so erweitert werden, dass soziale und ökologische Wirkungen von Produkten und Dienstleistungen relevant(er) werden? Reporting, True-Cost-Accounting und immaterielle Vermögenswerte stehen daher ebenso in unserem Fokus.

Da es aber nicht nur auf das Messen sondern auch auf Veränderungen ankommt, werden wir in weiteren Studien die Erfolgsdeterminanten einer nachhaltigen betrieblichen Transformation – Geschäftsmodell, Arbeitsorganisation, Unternehmenskultur – herausarbeiten. Vorab werden wir in den nächsten Wochen zwei Vorstudien in diesem Blog vorstellen. Die erste Studie ist als Meta-Studie mit der Frage angelegt gewesen, in welcher Weise der Zusammenhang von betrieblicher nachhaltiger und digitaler Transformation bereits untersucht worden ist. Die zweite Studie besteht aus den Inhalten von 18 Unternehmensinterviews, in denen wir die „positive Storyline“ der nachhaltigen Veränderung bei betrieblichen Role Models abgefragt hatten. Stay tuned.

Der Umgang mit Komplexität sollte aus meiner Sicht also etwas gelassener erfolgen. „Gelassen“ jedoch nicht verstanden als „nicht mit Nachdruck“ sondern im Sinne der Akzeptanz eines gewissen Kontrollverlustes in einer digitalisierten globalisierten Welt. Und wir sollten positive Beispiele als Vorbilder ansehen, wie Komplexität gewinnbringend (im vielfachen Sinne) angegangen werden kann.

Im Sinne eines alten bekannten fossilen Werbespruchs: Es gibt viel zu tun. Packen wir´s an und beenden das nicht-nachhaltige Leben, Arbeiten und Produzieren.

Wir wünschen euch Frohe Weihnachten und eine gute Holiday Season, wie man auch alternativ in den USA und in anderen Regionen wünscht (#Diversity).

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