Mit der seit Jahren sich dahinziehenden betrieblichen digitalen Transformation und der immer mehr in den Fokus kommenden betrieblichen nachhaltigen Transformation stehen sowohl die Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) als auch die Großunternehmen vor gewaltigen Herausforderungen.
Wir haben in der vorliegenden Metastudie, die das Team von Fraunhofer IAO unter Leitung von Josephine Hofmann in unserem Auftrag durchgeführt hat, daher versucht, mit entsprechender umfänglicher Hypothesenbildung alle Studien in den Blick zu nehmen, die in den letzten Jahren in irgendeiner Weise die betriebliche nachhaltige (und im Idealfall auch digitale) Transformation betrachtet haben. Es ging uns aber nicht nur darum, einen quantitativen und qualitativen Studienüberblick zu gewinnen. Vielmehr hatten wir auch das Ziel, einen empirisch fundierten Überblick über die thematischen Verknüpfungen von Nachhaltigkeit, Digitalisierung, New Work, Arbeitsorganisation, Unternehmensstrategien und Ressourceneinsatz zu erhalten. Daher kam der Hypothesenbildung eine besondere Rolle zu.
Doppelte Transformation – Hype oder nachhaltiger Trend?
Hierbei hat sich herausgestellt, dass der eigentlich angedachte Fokus auf die Gleichzeitigkeit von digitaler und nachhaltiger Transformation die Studienersteller vor ein Problem gestellt hat: Wir waren in der Planung davon ausgegangen, dass bereits sehr viele Unternehmen die gegenseitige Wechselwirkung beider Transformationen im Blick haben und sich dies bereits in den Studien widerspiegelt.
So kann Digitalisierung beispielsweise die Transformation Richtung Nachhaltigkeit durch Sensorik und Datenanalyse beschleunigen und gleichzeitig aber auch zu Reboundeffekten führen. Zudem ermöglicht die digitale Transformation neue Formen des Arbeitens („New Work“), die im Idealfall zu höherer Innovationsfähigkeit der Unternehmen führen können (in der Studie findet ihr eine ausführliche Studiendebatte dazu).
An dieser Stelle haben wir uns jedoch geirrt; Unternehmen haben die Wechselwirkung anscheinend nicht systematisch im Blick. Und daraus ergab sich dann die Frage: Ist die „doppelte“ Transformation irrelevant oder einfach nur noch nicht in den Unternehmen angekommen? Vorab: Diese Frage können wir nach wie vor nicht beantworten, wenngleich in die Studie insgesamt 122 Quellen, davon 60 Studien, 41 Blogbeiträge und 21 Podcasts eingeflossen sind.
Unsere Hypothesen
Basierend auf dem obigen Analyseraster hatten wir folgende Hypothesen formuliert (hier wörtlich aus der Studie entnommen):
- Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden bisher in der Literatur und in der Unternehmenspraxis vorwiegend als getrennte Entwicklungen verstanden, analysiert und besprochen. Die Twin Transition bzw. Doppelte Transformation hat noch keinen Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und eine betriebliche Konzeptionalisierung gefunden.
- Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökologisch, sozial und ökonomisch) werden von den Unternehmen zunehmend als gleichwertig und gleich wichtig wahrgenommen und angegangen.
- Für den Großteil der deutschen mittelständischen Unternehmen ist Nachhaltigkeit derzeit primär ein Image- und Reputationsthema.
- Dabei bietet Nachhaltigkeit handfeste betriebswirtschaftliche Potenziale. Diese liegen z.B. in einer nachhaltigkeitsorientierten Arbeits- und Mobilitätsorganisation, in nachhaltigkeitsorientierten Geschäftsmodellen, einer Reduzierung des Ressourcenverbrauches und der damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten und nicht zuletzt in der Verbesserung der Arbeitgeberattraktivität durch die aktive Gestaltung der genannten Bereiche.
- Die Umsetzung der Nachhaltigkeit in deutschen mittelständischen Unternehmen scheitert neben der fehlenden strategischen Priorisierung vor allem an fehlenden personellen Ressourcen und entsprechenden Fähigkeiten in den Unternehmen.
- Der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit wird in deutschen mittelständischen Unternehmen vor allem durch deren Kunden und Kundinnen bzw. kundenseitige Forderungen getrieben.
- Die Chancen der Digitalisierung als Mittel zu mehr Nachhaltigkeit werden von deutschen mittelständischen Unternehmen auch in der Folge der Pandemie zunehmend erkannt. Es fehlt jedoch an Wissen, Lösungsansätzen und Inspiration für die Umsetzung der Doppelten Transformation bzw. die Nutzbarkeit der Synergien zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung.
- Die digitale Transformation hat die Welt näher zusammenrücken lassen und lässt uns die Effekte klimatischen Wandels und weltweiter Wirtschaftsereignisse schneller und unmittelbarer spüren. Das stärkt das Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltigkeitsorientierter Vorgehensweisen und die Bereitschaft zu individuellen Verantwortungsübernahme.
- Digitalisierung schafft ein nachhaltiges Mindset. In Unternehmen, die in Sachen Digitalisierung bereits vorangeschritten sind, hat auch Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert.
- Digitalisierung unterstützt den Erkenntnisprozess in Bezug auf die Notwendigkeit und Wirkzusammenhänge nachhaltigen Wirtschaftens durch Verfügbarkeit immer besserer und aktuellerer Informationsquellen.
- Insbesondere individualisierbar ausspielbare/nutzbare Daten (smart tracking tools) können das eigene Verhalten positiv in Richtung Nachhaltigkeit triggern. Denn eine individuelle Haltungs- und Verhaltensänderung braucht individuelle Rückmeldungen, was den eigenen Beitrag angeht. Daher stärken Tools und Methoden der Selbstvermessung/des Trackings und des hierauf ausgerichteten Benchmarks den Willen und die Durchhaltefähigkeit zu eigenem nachhaltigkeitsorientiertem Handeln.
Die Ergebnisse deuten auf weiteren Forschungsbedarf hin
Auf Basis dieser Hypothesen und der umfänglichen Zahl der Studien sind nun folgende Aussagen möglich:
- Unternehmen und damit letztlich auch Studien haben die systemische Verbindung zwischen beiden Arten der Transformation noch nicht wirklich in den Fokus genommen. Einige quantitativ basierte Frühindikatoren deuten aber darauf hin, dass sich dies derzeit ändert.
- Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit dominiert die Unternehmenspolitik. Dass damit auch soziale und ökonomische Aspekte von Nachhaltigkeit tangiert werden, wird noch nicht erkannt.
- Es kann – bei dünner Studienlage – nicht bestätigt werden, dass es v.a. KMU nur um ein Imagethema geht.
- Interessanter Weise haben Unternehmen bisher nicht den Kontext von Nachhaltigkeit, New Work, Arbeitskultur und Arbeitgeberattraktivität in den Blick genommen. So ist Remote Work allein ein Thema der Arbeitgeberattraktivität; dass damit natürlich auch Nachhaltigkeitsthemen adressiert werden, wird nicht wahrgenommen.
- Der strategische Stellenwert von Nachhaltigkeit wird bisher nicht erkannt.
- Es sind vor allem die Wünsche der Kunden nach Nachhaltigkeit in den Unternehmen, die diese antreiben. Politische Regulierungen werden dagegen eher als eine Frage der Pflichterfüllung gesehen, während Kundenwünsche das eigene Geschäftsmodell herausfordern.
- Nachdem gerade auch unter dem Druck der Pandemie die Digitalisierung ein gewisses Momentum in den Unternehmen erreicht hat, sind diese bisher noch nicht an dem Punkt, die Digitalisierung systematisch für die Erreichung von mehr Nachhaltigkeit zu nutzen.
- Ein Zusammenhang zwischen dem Grad der betrieblichen Digitalisierung und dem Bewusstsein für die Notwendigkeit zu mehr Nachhaltigkeit ist studienseitig nicht erkennbar. Gleiches gilt für eine parallele Vorreiterrolle von Unternehmen bei beiden Arten der Transformation.
Damit zeigt uns die Studienauswertung, dass Unternehmen auf einem guten Weg sind, wenn es erstens um die Implementierung von digitalen Arbeitswerkzeugen auf der einen und die Verfolgung der Erreichung von mehr Nachhaltigkeit im eigenen Arbeits- und Produktionsprozess geht. Was bisher fehlt, sind aber erstens die synergetische Betrachtung beider Transformationen, zweitens die Betrachtung aller drei Dimensionen von Nachhaltigkeit als Wesensmerkmal der Prozesse, Dienstleistungen und Güter der Unternehmen und drittens die strategische Platzierung dieser Themen in den entsprechenden Abteilungen und Ebenen.
Wie geht es weiter?
Die Frage, die wir uns selbst mit Blick auf die weitere Befassung mit dem Thema stellen ist, welches der erfolgversprechendste methodische Ansatz wäre, um Vorschläge für Politik oder Wirtschaft zu erarbeiten, die die nachhaltige betriebliche Transformation unterstützen. Folgende Ansätze sind denkbar:
- Untersuchungsgegenstand könnten die entsprechenden Stabsabteilungen in erfolgreich transformierenden Unternehmen sein, die wie auch in anderen Change-Fragen „verantwortlich“ sind. Ist der Chief Sustainability Officer die Rolle, die eine nachhaltige Transformation voranbringt? Ist es Tax and Finance, die mit Blick auf die veränderten Anforderungen auf dem Kapitalmarkt für eine nachhaltigere Wirtschaftsweise Sorge tragen können?
- Ist die staatliche Ordnungspolitik der passende Hebel, mit dem Unternehmen zur Nachhaltigkeit „gelenkt“ werden können? Könnte mit Steuerpolitik und einer veränderten Förderkulisse am ehesten flächendeckend Nachhaltigkeit erreicht werden?
- Sollten vielleicht einfach Entscheiderinnen in den Unternehmen gefragt werden, inwiefern der Staat für die regulativen Spielregeln sorgen könnte und wie diese Spielregeln am besten ausgestaltet sein sollten?
- Oder ist die nachhaltige betriebliche Transformation am ehesten eine Frage der Unternehmenskultur und Arbeitsorganisation? Geht es am Ende darum, dass ein Vorstand und eine Geschäftsführung – ähnlich wie bei der digitalen Transformation – Nachhaltigkeit vorlebt und den Menschen in Unternehmen mit Elementen von New Work die Möglichkeit gegeben wird, Nachhaltigkeit bei sich am Arbeitsplatz umzusetzen und zu leben?
Lasst uns gern via der Kommentarfunktion oder via Mail eine Einschätzung dazu zukommen, welchen Studienhebel ihr selbst auf Basis eurer eigenen Erfahrung einsetzen würdet.
Download
2417 mal gelesen
Danke für die Metastudie. Wir haben gerade die erste Etappe des umfangreichen Projekts „Kimawandel im Gebirge“ abgeschlossen. Dabei wurden wir von der SDG Kompetenz der Menschen und Unternehmen, ohne dass diese von den SDGs wussten, angenehm überrascht. Die Menschen in der Schweiz (60 km rund um Titlis) sind sowohl privat als auch in den Organisationen hoch umsetzungswillig, wenn sie die Gelegenheit haben. Zumindest in der Schweiz sind wir viel weiter als wir dachten – auch im Doppelnutzen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die Praxis überholt gerade die Theorie. (Das Nachmessen der Wirkungen ihres Tuns steht nicht im Vordergrund. Ich sage mal salopp, das Bilanzieren ist sogar ein verdeckter Stolperstein. )
Der Projektbericht wird in den nächsten Wochen veröffentlicht. U.a. wirkte im Steuerungsausschuss auch Prof. Dr. Heinz Wanner mit, ehemaliges Mitglied im Weltklimarat. Gerne stehe ich für Rückfragen zur Verfügung.
Spannende Studie. Aus der Fülle der Themen und Aspekte könnte man – so mein Gefühl – einige wissenschaftliche Arbeiten machen, ableiten und durchführen.
Beim Lesen diese Beitrag kam mir eine Frage:
Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitenden immer mehr „mobiles Arbeiten“ ermöglichen, wenn sie damit Pendler:innen-Wege einsparen helfen, können sie das dann in Nachhaltigkeitsbilanzen abbilden (sofern sie die Tage im Büro und jene an anderen Orten akribisch dokumentieren)? Oder zählt der Weg zur Arbeit, zum Büro – bzw. das Einsparen dieser Wege – nicht rein in die Bilanzen?
Danke für die Rückmeldung! Ich bin kein Bilanzierungsexperte und kann die Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Bei uns in der Stiftung führen wir aber tatsächlich gerade eine Erhebung der Pendleraktivitäten durch, um dies in die Nachhaltigkeitsbilanz aufzunehmen.
Hallo Ole,
interessante Studie, dazu ließe sich einiges sagen. Zwei Aspekte scheinen mir hier in der gebotenen Kürze am wichtigsten: Auf Seite 8 beschreibt Ihr als einen der zentralen Foki:
„.. inwieweit eine partizipationsorientierte Kultur nachhaltige Verhaltensformen fördert und dazu beiträgt, Nachhaltigkeit konsistenter in Unternehmensstrategien, Produktausrichtungen und organisatorischen Vorgaben umzusetzen.“
Dazu gib es im internationalen Forschungsdiskurs längst zahlreiche Studien, so dass die Frage in der Grundsätzlichkeit und Allgemeinheit etwas überrascht. Nach Durchsicht Eurer Literatur scheint es mir so, als ob Ihr keine einzige der vorliegenden empirischen Studien dazu in Eure Meta-Studie aufgenommen habt. Einen ersten Einblick in die Verknüpfung von Partizipation und Nachhaltigkeit hatte ich bereits vor genau einem Jahr im Jan 22 bei uns im Blog veröffentlicht:
https://unternehmensdemokraten.de/2022/01/18/organisationale-nachhaltigkeit-erfolgreicher-mit-partizipation/
Darüber hinaus würde ich die Aussage von Ulli Pesch oben zur Unternehmenskultur gerne differenzieren: Ich stimme ihm insofern zu, als das U-Kultur vor allem nicht direkt steuerbar ist. Somit ist sie ein fraglicher Hebel.
Andererseits sind generalisierte Aussagen über die Veränderungsdauer der U-Kultur nicht haltbar. Das dürfte sofort klar werden, wenn wir über verschiedene Größen von Unternehmen reden. Eine 50 MA kleine Bude braucht wohl keine 5 Jahre, bei VW & Co sieht das schon ganz anders aus.
Was aber sehr wohl geht uns was unser Brot und Butter Geschäft ist: Kulturelle Interventionen durchzuführen, die dann indirekt sehr wohl und teils auch schnell Wirkung entfalten können. Das geht m.E. am besten, wenn man keine abstrakten „Kulturveränderungen“ durchführt, sondern im Rahmen konkreter Projekte einfach die Art der Zusammenarbeit ändert. Funktioniert prima.
Abschließend, um die Kommentaroption hier nicht zu überfrachten: Zum Begriff des „Hebels“ ließe sich noch einiges sagen, der lässt sich nämlich über einen einfachen metaphorischen Gebrauch hinaus stringent konzeptualisieren. Melde Dich im Falle von Interesse
Herzliche Grüße aus Berlin
Andreas
Hallo Andreas, danke dir für den ausführlichen Kommentar. Dass dir als Experten für Unternehmensdemokraten natürlich viele Sachverhalte schon bekannt sind, ist jetzt nicht überraschend. Eine Meta-Studie soll ja auch nur einen ersten Studienüberblick geben. Dass dabei nicht jeder einzelne Aspekte bereits im ersten Schritt in der Tiefe analysiert wird, ist selbstredend. Zudem kommt es uns eher darauf an, systemisch an die Komplexität von Digi, Nachhaltigkeit und New Work heranzugehen. Ich denke, dass wir beide dazu nochmal in nächster Zeit reden sollten. Wir haben hier einiges vor. Viele Grüße nach Berlin. Ole
Ich würde die beiden letzten Punkte rauslassen. Die Themen Unternehmenskultur und Arbeitsorganisation sind m.E. keine „Hebel“. So etwas entwickelt sich m.E. langsam und aufgrund des Umfeldes. Und da (Verhaltensänderung auf breiter Ebene) rechnet man, so wie ich das mal hörte, mit einem Zeitraum von ca. 30 Jahren. Betrachtet man aus historischer Sicht alleine die Veränderung(en) in der Unternehmenskultur, sieht man, dass so etwas ein sehr langer iterativer und vor allem dauerhafter Prozess ist.
Entscheiderinnen und Entscheider in Unternehmen würde ich auch nicht fragen. Was sollen die sagen, wenn Ihnen die wahrscheinlich Grundlagen fehlen?
Ich denke, es fehlt vor allem noch ein gehöriges Maß an Aufklärung, an Informationen über Einflüsse, Handlungsweisen und Möglichkeiten.
Die beiden erstgenannten Ideen würde ich „einfach mal“ in die richtigen Kanäle auf unternehmerischer und politischer Ebene „reinkippen“. Bei Letzterem vielleicht in den Innovationsrat der Bundesregierung oder andere Stelle auf politischer Ebene. In den Unternehmen gibt´s bereits eine Reihe interessanten Beispielen, die zumindest eine Tendenz im Hinblick auf den Zusammenhang beider Bereiche andeuten.
Aber ich rate, insbesondere auf politischer Ebene, zur Besonnenheit, denn: mir ist aus zuverlässiger Quelle bekannt, dass sich die Stabsstellen in den Ressorts der Regierung mithin aus Quellen bedienen, aus denen aus ökonomischen Gründen teilweise fehlerhafte oder falsche Informationen geliefert werden.
Eine wichtige Aufgabe sollten in diesem Kontext auch die Medien übernehmen, die diese grundlegenden Definitionen, Aufgaben und Anforderungen auf unterschiedlichen Ebenen darstellen.
Hallo Ulli Pesch, vielen Dank für diesen wichtigen Hinweis, den ich tatsächlich so 1:1 in unsere nächste Planungssitzung mitnehmen werde. Viele Grüße, Ole Wintermann