Nach nunmehr 6 Jahren werden wir unser Projekt zur „Zukunft der Arbeit“ am 31.12. diesen Jahres abschließen (Wie es weiter geht – und es wird weitergehen – erfahrt ihr im zweiten Teil des Textes).
6 Jahre hat sich unser Team mit den Themen befasst, die einen großen Teil aller Beschäftigten und der Unternehmen infolge der digitalen betrieblichen Transformation beschäftigen. Ohne hier an die über 25 Veröffentlichungen, Veranstaltungen und Initiativen im Einzelnen einzugehen, die wir im Laufe der Jahre als Bertelsmann Stiftung allein oder aber in Kooperation mit spannenden Partnern veröffentlicht haben, möchte ich doch noch auf einige Schwerpunkte unserer Projektarbeit hinweisen.
Erfolgskriterien einer betrieblichen digitalen Transformation
Wir haben gemeinsam mit Fraunhofer IAO und der OTTO Group versucht, die Erfolgskriterien einer betrieblichen Transformation zu identifizieren und sind nicht müde geworden zu betonen, dass eine zielführende Transformation nicht nur eine technische sondern auch und besonders eine kulturelle Komponente adressieren muss. Hierbei sind Führungskräfte gefragt, ihre tradierte Rolle kritisch zu hinterfragen und den Beschäftigten auf Augenhöhe zu begegnen. Beschäftigte sind ihrerseits gefragt, für sich und ihre Interessen stärker als in der Vergangenheit einzutreten und digitale Kompetenzen weiter auszubauen. Die Corona-Pandemie war dann plötzlich der konkrete und kurzfristig eintretende Testfall nicht nur für diesen Studienergebnisse sondern auch für alle anderen Arbeiten in unserem Projekt.
Vereinbarkeit 4.0
Die veränderte Einstellung der Beschäftigten muss einhergehen mit einem angepassten Verständnis von Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Privatleben. Hierzu hatten wir bereits früh in der Projektlaufzeit in Gemeinschaftsarbeit mit 49 Autorinnen und Autoren einen umfassenden Booksprint erarbeitet. Digitales und agiles Arbeiten ist undenkbar ohne eine Hinterfragung der Unternehmenswerte und des eigenen Wertesystems, die beide maßgeblich für ein neues Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben sind. Welche Aspekte der Umsetzung der idealtypischen Vereinbarkeit dann relevant sind, haben etliche Autorinnen in dem Booksprint lebhaft und auch auf eigener Erfahrung basierend geschildert.
Neue Orte des Arbeitens
Dies gilt insbesondere dann, wenn das digitale Arbeiten auch an neuen Orten des Arbeitens stattfindet – in Coworking Spaces in der Stadt und auf dem Land. Dabei hat sich herausgestellt, dass für die Mehrzahl der Beschäftigten vor allem das Arbeiten auf dem Land prioritär zu sein scheint. Darauf haben wir reagiert und in einer Gemeinschaftspublikation mit dem Coworkland die Ergebnisse von 200 persönlichen Interviews von Pendlern und Betreiberinnen von Coworking Spaces auf dem Land vorgestellt. Dabei hat sich der vielfache Nutzen dieses Arbeitskonzeptes herauskristallisiert: Schwach strukturierte ländliche Räume profitieren von Ansiedlung der Spaces, Pendlerinnen sparen Zeit, Nerven und Geld durch das Arbeiten vor Ort, die Umwelt profitiert von weniger CO2-Emissionen, ländliche Räume erhalten neue soziale Kerne. Selten gibt es (regional-) politische Maßnahmen, die so wenige finanzielle Ressourcen benötigen und einen solch eindeutigen positiven Effekt für die Gemeinschaft vor Ort mit sich bringen.
Arbeitsrecht 4.0
Wird dann an neuen Orten des Arbeitens gearbeitet (egal, ob Coworking Spaces, Home Offices oder Cafes), so ergeben sich natürlich zwangsläufig rechtliche Fragen, die bisher noch nicht alle durch den Gesetzgeber geklärt werden konnten. Dazu haben wir für KMU’s einen praktischen Leitfaden entwickelt, der die wichtigsten Fragen beantworten soll. Die offenen Fragen und Klärungsbedarfe durch den Gesetzgeber wurden darüber hinaus bereits unter juristischen Experten intensiv besprochen werden. Dies konnten wir in der abschließenden Experten-Workshop-Serie erfahren. Die Ergebnisse werden wir Anfang 2022 veröffentlichen.
Die Zukunft der Arbeit im Jahre 2050
Den Blick nach vorn in die Zukunft der Arbeit (2035 und 2025) konnten wir in jeweiligen Kooperationen mit dem Münchner Kreis und dem Millennium Project richten. In zwei international angelegten Szenario-Prozessen wurde insgesamt eine vierstellige Zahl von Expertinnen nach der Zukunft der Arbeit gefragt. Die Ergebnisse sind natürlich – wie es bei Szenario-Prozessen üblich ist – nicht wörtlich zu nehmen, sondern sollen nur eine Ahnung davon geben, wohin uns die Digitalisierung unserer Arbeit führen könnte. Die Szenarien stehen vielleicht stellvertretend für unser gesamtes Projekt: Wenn wir wollen, dass die Digitalisierung den Menschen in den Mittelpunkt stellt, müssen wir alle proaktiv dafür eintreten und die Zukunft der Arbeit in die eigenen Hände nehmen. Und hierbei geht es nicht um die Abwehr eines Risikos sondern die Wahrnehmung eines riesigen positiven Potenzials.
New Pay und Demokratisierung von Unternehmen?
Hätten wir das bestehende Projekt so unverändert weitergeführt, hätten wir uns auf jeden Fall mit den nahen Zukunftsthemen „New Pay“ und „Demokratisierung von Unternehmen“ beschäftigt. Der Grund dafür ist ganz einfach, dass mehr Eigenverantwortung und Selbstmanagement, die Beteiligung an Unternehmensentscheidungen und das Eintreten für die Werte des Unternehmens mittelfristig automatisch zum Hinterfragen allein hierarchiebasierter Entgeltsysteme und dem willkürlichen Zustandekommen dieser Systeme führen muss. Es gibt keine „halbe Mündigkeit“ der Beschäftigten. Man kann ihnen nicht nur einfach mehr Pflichten und Verantwortlichkeiten zuweisen, ohne auch an die Haben-Seite der Beschäftigten zu denken. Und das „Haben“ wird durch Machtstrukturen entschieden, die damit hinterfragt werden müssen, wenn die Augenhöhe nicht nur Fake bleiben soll. Es gibt schließlich auch keine „halben Demokratien“.
Wie geht es nun bei uns weiter?
Die Potenzialorientierung der o.g. Szenarien wird uns nun auch bei der Weiterentwicklung des Projektes leiten. Uns waren schon im Laufe der letzten Monate einige spannenden Punkte aufgefallen, denen wir uns nun widmen wollen. Die neuen Orte des Arbeitens haben uns gezeigt, wie einfach es sein könnte, durch die Digitalisierung der Arbeit und den Abbau von rechtlichen Hürden mehr Nachhaltigkeit in die Arbeit zu bekommen. Zudem war uns zunehmend aufgefallen, dass Unternehmen, die besonders digital und innovativ aufgestellt sind, sehr häufig auch zum Thema Nachhaltigkeit eine eindeutige Haltung besaßen – und dies gilt auch für die Beschäftigten solcher Unternehmen, die von einer wertschätzenden Unternehmenskultur profitieren. Diese Wertschätzung geht dann auch einher mit der Nutzung digitaler Werkzeuge, die die Partizipation der Beschäftigen ermöglichen.
Kurz gefasst, könnte man sagen: Die digitalen Arbeits- und Produktionswerkzeuge helfen anscheinend, ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit in Unternehmen zu erreichen, sei es beispielsweise durch die Messung der sozialen und ökologischen Fußabdrücke der Unternehmen oder das Ermöglichen neuer regenerativer Geschäftsmodelle.
Das Ziel unseres neuen Projektes wird es sein, diese Zusammenhänge genauer zu analysieren und die weitreichenden Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen, Beschäftigte und Politik herauszuarbeiten. Dabei können wir einerseits auf weitreichenden Arbeiten von Wissenschafts-Kollegen des IZT, des Wuppertal-Instituts beispielsweise in den Projekten CO:DINA und nachhaltig.digital aufbauen, andererseits aber auch unsere eigene jahrelang aufgebaute Expertise zur Digitalisierung der Arbeit mit in die öffentliche Debatte einbringen.
Da die Unternehmen und damit auch deren Entscheider aber natürlich eingebettet sind in eine gesellschaftliche Debatte zur Nachhaltigkeit, werden wir auch die Wechselwirkung zwischen dieser gesellschaftlichen Debatte und den handelnden Akteuren in den Blick nehmen. Kurz gesagt: Wenn wir gesellschaftlich immer stärker das traditionelle Wachstums-Paradigma hinterfragen, muss dies irgendwann Rückwirkungen auf die Wachstumsorientierung der Unternehmen haben.
Dieser Blog wird daher zukünftig inhaltlich eine betriebliche und eine gesellschaftliche Ebene ansprechen. Jakob Kunzlmann wird sich um methodische Ansätze kümmern, mit denen die Wirkung von unternehmerischer Tätigkeit auf die Gesellschaft und die Umwelt aufgezeigt werden können (Nachhaltige Wertschöpfung), Birgit Wintermann wird sich mit der Frage beschäftigen, wie mit der digitalen auch die nachhaltige Transformation vorangebracht werden kann (Doppelte betriebliche Transformation) und ich selbst werde mich um die Analyse der gesellschaftlichen Debatte zur Nachhaltigkeit kümmern (Agenda Nachhaltige Transformation). Julia Meyer wird sich um die Fortentwicklung des Blogs kümmern.
Wie dies dann genau aussehen wird, wie das dann vergrößerte Team jenseits dieser „Kümmerer“ aussehen wird, wer bei uns wozu arbeitet, wie ihr diese Menschen ansprechen könnt, wie der Blog gestaltet und heißen wird und was genau an Projektaktivitäten geplant ist, werdet ihr dann im neuen Jahr erfahren. Wir freuen uns darauf.
Wir wünschen Euch allen eine Frohe Weihnacht und einen guten Rutsch in das Jahr 2022. Bleibt gesund!
1302 mal gelesen
Lieber Ole,
vielen Dank für diesen Beitrag, über den ich gerade eben erst gestolpert bin. Sehr interessant, dass Du/Ihr auch die Demokratisierung von Unternehmen reflektiert, wobei ich das erweitern und von der Demokratisierung der Arbeit sprechen würde, es gibt ja auch arbeitgebende Organisationen, die keine Unternehmen sind…
Du schreibst: „Es gibt schließlich auch keine „halben Demokratien“. Das wundert mich. Es gibt sehr wohl „vollständige“ und „unvollständige“ Demokratien. Genau das ist die große Unterscheidungslinie beim Economist Intelligence Democracy Index. Dazu gibt es schon eine Weile auch einen guten Überblick bei Wikipedia. Mittlerweile wurde zB die US amerikanische Demokratie auf „unvollständig“ zurückgestuft. Sie rangiert aktuell auf #26, während wir auf #15 gerankt sind.
https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex#2021
Herzliche Grüße
Andreas
Hallo Thorsten, danke dir für das Feedback zur Neuausrichtung. Tatsächlich werden wir die von dir genannten Themen auch mit in die nächste große Studien aufnehmen. Wir werden hier auf dem Blog natürlich über viele weitere Themen berichten und schreiben. Die Fragen der Beteiligungen von Mitarbeitenden und der Rolle von Unternehmenden werden in der angedachten Studie dezidiert unter der Fragestellung betrachtet werden, inwieweit die Digitalisierung der Arbeit erst die Möglichkeit zur Partizipation geschaffen hat, in deren Folge die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit dann auch im Unternehmen umgesetzt werden können. Nachhaltig agierende Unternehmen sind auffällig oft auch für Beteiligungsmöglichkeiten der Arbeitenden bekannt. VG, Ole
Schön, dass es weitergeht, darüber freue ich mich. Naheliegend finde ich auch die nun angefachte, zukünftige Ausrichtung.
Wenn ich eine Anregung geben darf, einen Wunsch äußern darf, dann würde es mich sehr freuen, wenn ihr die Thema „Mitarbeiter*innen Beteiligung“ und die Rolle von „Unternehmer*innen“ in den Blick nehmt.
Ich denke wir brauchen – ausgelöst durch die von euch beschriebenen Entwicklungen (selbstorganisierte Teams, „von Umsetzenden zu Gestaltern“, flache Hierarchien, Netzwerkunternehmen, etc.) – nun auch neue Formen der finanziellen und (gesellschafts-)rechtlichen Beteiligung von Mitarbeiter*innen. Das insbesondere in jenen Branchen, in denen die Mitarbeitenden durch ihr Wissen und ihre Erfahrung den Wert der Unternehmen massgeblich „erarbeiten“.
AGs, Genossenschaften … da gibt es schon spannende Formen der Beteiligung, sicherlich auch tolle Beispiele und Erfahrungen (Best Practices), ebenso auch „gescheiterte“ Vorhaben (aus denen man aber ja auch super viel lernen kann). Davon hier in Zukunft zu lesen, zu erfahren, das fände ich toll.