In Zeiten von Corona hören wir im Alltag meist von Negativbeispielen, wenn es darum geht, wie und in welcher Weise Firmen und Unternehmen mit dem Corona-bedingten Zwang zum Home Office umgehen. Dabei stellt Home Office eigentlich eine positive Antwort auf eine Krise dar: Die Beschäftigten können selbst über die Arbeit bestimmen, sie können das an jedem Ort machen, an dem sie arbeiten können, die Produktivität- so viele Studien – steigt tendenziell, die Vereinbarkeit nimmt zu. Das alles setzt aber eine entsprechende Arbeitskultur und Arbeitsumgebung voraus. Wie kann diese Krise für eine Weiterentwicklung der Arbeitskultur genutzt werden? Wie dies aussehen könnte, beschreibt in diesem Interview Andreas Grieger von der Firma Weidmüller aus dem #TeutoValley. Das Interview führte Ole Wintermann. 

Andreas Grieger
OW: Herr Grieger, können Sie uns etwas zu ihrem Unternehmen und ihrer Funktion sagen?

AG: Ich habe seit drei Jahren die globale Gesamtverantwortung für Human Resources der Weidmüller Gruppe inne. Dies beinhaltet das operative HR-Geschäft als auch die strategische Personalentwicklung und die Weiterbildungsaktivitäten der Weidmüller Akademie. Weidmüller ist einer der führenden Anbieter für elektrische Verbindungstechnik und Automatisierungstechnik. Unsere Lösungen kommen überall dort zum Einsatz, wo im industriellen Umfeld Energie, Signale oder Daten übertragen werden müssen.

Wie hat die Firma Weidmüller reagiert, als klar wurde, dass sich die Arbeitsbedingungen für einen großen Teil der Belegschaft durch die Pandemie kurzfristig verändern würde?

Wir haben sehr schnell einen Krisenstab gebildet, der in den letzten Monaten täglich die weltweiten Auswirkungen auf Weidmüller bewertet und umgehend in Aktivitäten umgesetzt hat. Es wurden umfangreiche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz getroffen und ca. 90% der mobil arbeitsfähigen Mitarbeiter haben vom HomeOffice aus gearbeitet.

Gab es zum Zeitpunkt des Lockdowns schon erprobte Prozesse oder Betriebsvereinbarungen, die alternative Arbeitsformen wie das Home Office etabliert hatten?

Seit 2018 haben wir eine Betriebsvereinbarung zur Mobilen Arbeit. Diese hat in einer Mitarbeiterbefragung 2019 sehr positives Feedback erhalten. Als global tätiges Unternehmen sind die meisten Mitarbeiter den Umgang mit Skype-Telefonie und Videocalls gewöhnt, so dass die Umstellung recht gut und schnell gelungen ist.

Wie konnten Sie sicherstellen, dass jedem Beschäftigten im Home Office die notwendige Soft- und Hardware sowie eine ausreichende Zahl von VPN-Zugängen zur Verfügung standen?

Aufgrund der bestehenden Betriebsvereinbarung sind viele Mitarbeiter mit Laptops ausgestattet. Zusätzlich ist die Verbindungstechnik entsprechend ausgelegt worden. Mitarbeiter ohne Laptops sind ad hoc aus Reservebeständen ausgestattet worden oder haben sich ihren Desktop-PC mit nach Hause genommen.

Gab es in den letzten Jahren systematische Aus- und Weiterbildungen, die das digitale Arbeiten zum Ziel hatten?

Bei Weidmüller sind schon seit Jahren die meisten Prozesse voll digitalisiert und die Mitarbeiter entsprechend geschult. Mit Bezug zur Weiterbildung haben wir seit 2019 ein weltweites Learning Management System im Einsatz. Über dieses laufen derzeit schwerpunktmäßig alle Produktschulungen in Form von Webinaren oder WBT‘s, die wir alle selbst erstellen. Außerdem haben wir mit Office 365 sehr umfangreiche Tools für die virtuelle Zusammenarbeit, die mit der anstehenden Einführung von Microsoft Teams noch erweitert werden.

Wie sind sie mit der Unterscheidung der Arbeitskräfte umgegangen, die allein dadurch entstanden ist, dass nicht jeder Beschäftigte Home Office nutzen kann?

Es war allen klar, dass Mitarbeiter in Produktion und Logistik überwiegend nicht von zuhause aus arbeiten können. Aber auch die Praxis in der Ausbildungswerkstatt kann nur vor Ort vermittelt werden. Diese Diskussion hatten wir aber bereits 2018 bei der Einführung von MobilArbeit. Aus diesem Grund gab es jetzt sehr große Einsicht und gemeinsam mit unserem Betriebsrat haben wir dies auch kommuniziert. Für alle Mitarbeiter, die nicht von zuhause aus arbeiten können, haben wir aber umfangreiche Schutzmaßnahmen getroffen.

Konnten Sie Ängste der Führungskräfte beobachten, die Kontrollverlust gefürchtet haben? 

Wir haben eher beobachtet, dass manche Führungskräfte sehr restriktiv an das Thema Remote Leadership herangegangen sind, was wahrscheinlich aus der Furcht vor Kontrollverlust und/oder mangelndem Vertrauen resultiert. Aber unter dem Druck der Krise hat sich vieles relativiert, was im Vorfeld als Kritik an der Mobilen Arbeit aufgekommen ist. Insofern hat die Krise auch etwas positives bewirkt, nämlich einen sehr großen Feldversuch in Bezug auf mobiles Arbeiten. Mit gutem Ergebnis.

Gibt es eine Form der systematischen Kommunikation zwischen Arbeitgeber und den Beschäftigten im Home Office?

Wir nutzen als Online-Meeting-Tool eine bekannte Office-Software. Da ich sehr viele Mitarbeiter in diese Calls integrieren kann, haben wir Vorstands-Informationen für alle Mitarbeiter gleichzeitig anbieten können. Per Chatfunktion sind dann auch Dialoge möglich. Und natürlich hat jedes Team und jeder Bereich seine Informationsrunden gehabt, die in dieser Krisenzeit sehr eng getaktet täglich oder wöchentlich abgelaufen sind.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Betriebsrat in den letzten Wochen?

Der Betriebsrat ist Mitglied im Krisenstab, so dass er sehr nah an der realen Lage ist und gemeinsam mit den Führungskräften in die Entscheidungen eingebunden war. Auch mit dem Betriebsrat haben wir regelmäßige Online-Meetings und stimmen uns derzeit noch enger ab als bisher. In kritischen Situationen haben wir so sehr schnell und flexibel handeln können.

Welche Rückmeldungen haben Ihnen die Beschäftigten aus dem Home Office heraus gegeben?

Generell gibt es überwiegend positive Stimmen. Wir haben eine laufende Mitarbeiterbefragung, um besser zu verstehen, wie wir von HR die Mitarbeiter und Führungskräfte in der virtuellen Zusammenarbeit noch besser unterstützen können.

Welche Auswirkungen auf Produktivität und Motivation vermuten Sie als mittelfristige Folge der vielen Home Office-Aktivitäten?

Das ist noch zu früh zu sagen, da sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ja nach wie vor im Home Office befinden. Derzeit läuft die bereits erwähnte Mitarbeiterbefragung, auf deren Ergebnisse ich sehr gespannt bin.

Glauben Sie, dass es langfristig deutlich mehr Wünsche zum Arbeiten im Home Office geben wird?

Es gibt – wie vor der Krise auch – die ganze Palette an Wünschen von niemals Home Office bis hin zu 100% Home Office. Es liegt aus meiner Sicht an der Kultur im Unternehmen und an den Führungskräften, Mobile Arbeit situations- und mitarbeitergerecht zum Einsatz zu bringen. Ich persönlich finde einen guten Mix von Präsenz im Büro und HomeOffice/Mobiler Arbeit als optimal für mich. Ich könnte mir aber vorstellen, dass alle Seiten dem Thema jetzt deutlich aufgeschlossener gegenüber stehen.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Grieger!

 

 

766 mal gelesen